In den Armen des Eroberers
und danach suchen wir. Das Motiv wird uns zum Täter führen.«
»Soweit ich gehört habe, hast du bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein Motiv.« Sein Blick streifte ihr Gesicht, und Honoria wehrte sich gegen ihre Verlegenheit.
»Tolly hat sein Leben genossen. Während ich mich hier umschaue, durchstreifen die anderen London – besuchen Bälle, Spielhöllen, alle Lokalitäten, die ein Cynster aufzusuchen pflegt.«
»Und die Hurenhäuser?«
Er sah sie ausdruckslos an. »Ja, die Halbwelt-Salons.«
»Aber er war erst zwanzig!« Honoria bemühte sich, nicht allzu schockiert zu wirken.
»Und?« Das klang ausgesprochen arrogant. »Cynsters fangen halt schon in jungen Jahren an.«
Er war der Prototyp und wußte es wohl auch. Honoria beschloß, das Thema fallenzulassen. Devil war inzwischen ins Unterholz eingedrungen. »Was suchst du da? Eine Waffe?«
»Tolly trug keine Waffe.«
»Ach?«
Seine Lippen wurden schmal. »Ich schaue mich um, ob sich hier irgend etwas Auffälliges findet. Der Wind könnte irgendwelche Gegenstände an den Straßenrand getrieben haben.«
Honoria beschloß, ihm zu helfen, doch nach einer Weile richtete sie sich auf, schob sich die lästige Hutfeder aus dem Auge und fragte: »Was glaubst du, warum Tolly sich auf dieser Straße befand?«
Devil antwortete, ohne den Kopf zu heben. »Vermutlich war er auf dem Weg zum Familiensitz.«
»Deine Tante hält es für möglich, daß er sich bei dir Rat holen wollte.«
Jetzt blickte er doch auf. »Hast du Tante Louise befragt?«
Sein Tonfall ließ Honoria aufhorchen. »Wir haben uns nur unterhalten – sie hat nicht den geringsten Verdacht.« Als sein Blick weiterhin streng blieb, winkte sie nur lässig ab. »Du hast gesagt, ein Straßenräuber hätte Tolly getötet, also war es auch ein Straßenräuber. Davon ist jeder überzeugt, selbst deine Mutter.«
»Gott sei Dank.« Mit einem letzten, zurechtweisenden Blick machte Devil sich erneut an die Arbeit. »Das fehlt mir noch, daß sich Weiber einmischen.«
»Ach ja?« Mit einem Stock stöberte sie in einem Laubhaufen. »Dir ist wohl noch nie in den Sinn gekommen, daß wir Weiber auch einen Beitrag leisten könnten?«
»Wenn du von dem Beitrag wüßtest, den meine Mutter zu leisten gedachte, würdest du diese Frage nicht stellen. Sie hat einen Brief an die Behörde geschrieben, der, sofern er dort hingelangt wäre, dem Beamten die Haare hätte zu Berge stehen lassen.«
Honoria drehte einen Erdklumpen um. »Wenn wir nicht mit diesem scheußlichen Gefühl der Hilflosigkeit alleingelassen, zur Seite geschoben würden mit dem Rat, doch lieber Socken zu stricken, dann wären unsere Reaktionen vielleicht nicht so verzweifelt.« Sie schwang ihren Stock in seine Richtung. »Überleg doch mal, wie du selbst dich fühlen würdest, wenn du wüßtest, daß du nie und nimmer etwas bewegen könntest.«
Er sah sie lange hart an. Dann verschloß sich sein Gesicht, und er wies auf den Boden. »Such weiter.«
Sie suchten beide Straßenränder ab, fanden jedoch absolut nichts. Schließlich saßen sie auf, ritten, beide in Gedanken über Tollys Tod vertieft, im Trab über die Felder und dann durch das Tor in den Park hinein.
Als sie zwischen den goldenen Pappeln der Allee hindurchritten, warf Honoria Devil einen knappen Blick zu. »Deine Tante will dir als Andenken an Tolly die silberne Taschenflasche geben, die du ihm zum Geburtstag geschenkt hast. Er trug sie bei sich, als er erschossen wurde.« Als er lediglich nickte, fügte sie reichlich spitz hinzu: »Der Straßenräuber scheint sie übersehen zu haben.«
Er schoß einen Blick auf sie ab – eine Warnung.
»Deine Tante erwähnte außerdem«, fuhr sie unbeirrt fort, »daß Tolly sich, wenn er in Schwierigkeiten gesteckt hätte, zuerst an dich, das Familienoberhaupt, gewendet hätte statt an seinen Vater oder an Charles. Könnte es nicht sein, daß der Grund, aus dem er dich aufsuchten wollte, gleichzeitig das Motiv für den Mord war?«
Devils Blick flackerte auf, und Honoria überkam ein Triumphgefühl. Mit diesem Schluß war sie ihm zuvorgekommen, und er glaubte, sie könnte recht haben. Doch er sagte nichts, bis sie im Hof angelangt waren. Er hob sie vom Pferd und hielt sie fest. »Sag kein Wort darüber zu Maman oder Louise. Es ist nicht nötig, schlafende Hunde zu wecken.«
Honoria begegnete seinem Blick mit kühler Herablassung.
»Und wenn du etwas hörst oder siehst, sag es mir.«
Sie sah ihn unschuldsvoll an. »Und sagst du mir auch,
Weitere Kostenlose Bücher