In den Armen des Eroberers
unaufhörlich über ihr Gesicht. Als wäre ihr Schmerz so tief, daß sie nicht einmal schluchzen konnte.« Er brach ab, dann fügte er hinzu: »Ich werde wohl nie vergessen, wie hilflos ich mich fühlte, als sie so weinte.«
Devil konnte es ihm nachfühlen.
Mit einem Seufzer zog Michael die Schultern hoch und sah Devil offen ins Gesicht. »Das ist im großen und ganzen alles – das Leben ging weiter. Der Verlust war für Honoria natürlich bedeutend schlimmer.« An Devils Seite setzte er den Weg zum Haus fort. »Wegen Mamas langer Krankheit war Honoria für die beiden Kleinen mit der Zeit viel mehr Mutter als Schwester geworden. Sie zu verlieren war für Honoria, als hätte sie ihre eigenen Kinder verloren.«
Devil schwieg; als sie sich dem Portico näherten, betrachtete er kurz die Inschrift über dem Eingang. Dann sah er Michael an. »Ihr braucht etwas zu trinken.«
Er selbst brauchte auch einen Drink. Und dann mußte er nachdenken.
Honoria kam gerade mit finsterer Miene die Treppe herunter, als die Tür sich öffnete und ihr Bruder eintrat.
»Michael!« Mit plötzlich strahlendem Gesicht eilte sie ihm entgegen. »Ich erwarte dich schon seit Stunden!« Sie fiel ihm um den Hals und erwiderte seinen liebevollen Begrüßungskuß. »Ich sah eine Kutsche kommen und dachte, du wärst es, aber dann kam doch niemand. Ich fragte mich schon …« Sie unterbrach sich, als ein großer Schatten den Eingang verdunkelte.
Michael blickte über die Schulter zurück. »St. Ives war so freundlich, mir entgegenzukommen. Er hat mir den Stand der Dinge erläutert.«
»Tatsächlich? Ich wollte sagen …« Als ihr Blick sich in kristallklaren grünen Augen verfing, mußte Honoria sich sehr beherrschen, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Wie zuvorkommend.« Sie bemerkte Devils unschuldsvolle Miene – sie paßte ganz und gar nicht zu seinem Piratengesicht.
»Du siehst gut aus.« Michael musterte ihr blaues Vormittagskleid. »Kein bißchen niedergeschlagen.«
Obwohl sie in Michaels Gesicht mit dem schelmischen Grinsen blickte, bemerkte sie doch, daß Devil die Brauen hochzog – und daß ihm die Röte in die Wangen stieg. Sie reckte ihr Kinn vor und hakte sich bei Michael unter. »Komm mit, ich stelle dich der Herzogin-Witwe vor.« Sie führte ihn in Richtung Salon. »Dann machen wir einen kleinen Spaziergang.« Damit sie ihn über die wahren Zustände ins Bild setzen konnte.
Zu ihrem Kummer folgte Devil ihnen.
Die Herzogin-Witwe hob den Blick, als sie eintraten. Mit einem strahlenden Lächeln legte sie ihre Stickarbeit zur Seite und streckte die Hand aus. »Mr. Anstruther-Wetherby – wie schön, Euch endlich kennenzulernen. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise?«
»O ja, Madam.« Michael beugte sich über ihre Hand. »Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen.«
»Bon!« Die Herzogin-Witwe strahlte ihn an. »Und jetzt machen wir es uns gemütlich und plaudern ein wenig, ja?« Sie wies auf die chaise neben ihrem Sessel und warf Devil einen Blick zu. »Bestell Tee, Sylvester. Nun, Mr. Anstruther-Wetherby, Ihr arbeitet mit Carlisle zusammen, nicht wahr? Und wie geht es der guten Marguerite?«
Honoria ließ sich in einen Lehnstuhl sinken und sah zu, wie Michael, der ihrer Überzeugung nach gewöhnlich immun gegen jegliche Form von Schmeichelei war, in den Bann der Her-zogin-Witwe geriet. Noch beunruhigender war der Umstand, daß Michael immer mal wieder einen Blick mit Devil tauschte; als Webster schließlich den Tee servierte, war ihr klargeworden, daß Devil ihrem Bruder irgendwie seine Zustimmung abgeschwatzt hatte. Honoria biß in ein Gurkensandwich und bemühte sich nach Kräften, ihre Wut nicht zu zeigen.
Sobald es eben möglich war, entriß sie ihren Bruder dem schädlichen Einfluß von Mutter und Sohn.
»Laß uns zum See hinuntergehen.« Sie ergriff Michaels Arm und führte ihn über die Terrasse. »Am Ufer gibt es eine Bank – dort sind wir ungestört.«
»Es ist wirklich ein prachtvolles Haus«, bemerkte Michael, als sie den Rasen überquerten. Sie erreichten die Bank, und Honoria setzte sich. Michael zögerte ein wenig, blickte auf seine Schwester herab und nahm dann neben ihr Platz. »Du würdest es hier sehr gut haben, weißt du.«
Honoria sah ihm direkt in die Augen. »Was zum Kuckuck hat dieser Teufel dir erzählt?«
Michael grinste. »Nicht sehr viel – nur die nackten Tatsachen.«
Honoria holte erleichtert Luft. »In dem Fall dürfte dir klar sein, daß ein Gespräch über eine Heirat
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