In den Armen des Eroberers
du schon etwas über die Hintergründe des Mordes an Tolly in Erfahrung gebracht?«
Eine schwarze Braue fuhr in die Höhe. »Ich habe gehört …«
Honoria wartete mit angehaltenem Atem.
»Daß Tante Horatia in etwa einer Woche einen Ball veranstaltet.« Unschuldsvoll sah er sie an. »Um zu verkünden, daß die Familie sich mal wieder in der Stadt aufhält, sozusagen. Bis dahin sollten wir uns zurückhalten – nun ja, Ausflüge in den Park und dergleichen harmlose Vergnügungen sind wohl gestattet, denke ich. Später …«
Fassungslos lauschte Honoria seiner Auflistung bevorstehender Zerstreuungen – der üblichen, vom ton bevorzugten divertissements.
Sie saß aufrecht, mit ausdrucksloser Miene und hielt den Mund, bis er seinen Vortrag abgeschlossen hatte. Erst dann wandte sie den Kopf und sah ihn an. »Du bist nicht fair.«
Sein Gesicht verschloß sich. »So ist das Leben nun mal.«
»Vielleicht«, entgegnete Honoria sehr von oben herab, »ist es an der Zeit, daß sich dieses Leben ändert.«
Er antwortete nicht, schnalzte nur mit den Zügeln und lenkte die Pferde denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.
Honoria trug den Kopf so hoch, daß sie um ein Haar den Herrn am Straßenrand übersehen hätte. Er hob grüßend sein Stöckchen und winkte damit.
Devil zügelte die Pferde und brachte sie zum Stehen. »Guten Tag, Charles.«
Charles Cynster neigte den Kopf. »Sylvester.« Sein Blick wanderte weiter zu Honoria. »Miss Anstruther-Wetherby.«
Honoria widerstand dem Drang, sich unnahbar zu geben, und nickte. »Sir. Darf ich mich nach dem Befinden Eurer Familie erkundigen?« Charles trug die übliche Trauerbinde am Arm, die sich gut sichtbar von seiner braunen Jacke abhob. Devil trug ebenfalls dieses Zeichen der Trauer, doch auf seinem schwarzen Anzug fiel es nicht auf. Honoria beugte sich herab und reichte Charles die Hand. »Ich habe Euren Bruder und Eure Schwestern noch nicht getroffen, seit ich in der Stadt bin.«
»Sie sind …« Charles zögerte. »Nun ja.« Er blickte Honoria an. »Sie erholen sich noch von ihrem Schock. Aber wie geht es Euch? Zugegeben, es überrascht mich, Euch hier zu sehen. Hattet Ihr nicht andere Pläne?«
Honoria lächelte – tiefgründig. »Aber ja. Das hier …«, sie vollführte eine umfassende Handbewegung, »… ist nur eine vorübergehende Regelung. Ich habe mich einverstanden erklärt, drei Monate mit der Herzogin-Witwe zuzubringen. Danach beginne ich mit den Vorbereitungen für meine Afrika-Reise. Ich plane einen längeren Aufenthalt dort – es gibt so viel zu sehen.«
Ihr Lächeln wurde brüchig. »Und zu tun.«
»Tatsächlich?« Charles verzog desinteressiert das Gesicht. »Meines Wissens gibt es zur Zeit im Museum eine großartige Ausstellung. Falls Sylvester zu beschäftigt sein sollte, um Euch zu begleiten, wendet Euch doch bitte an mich. Wie ich Euch schon einmal beteuert habe, stehe ich Euch jederzeit zur Verfügung.«
Königlich neigte Honoria das Haupt.
Nach dem Versprechen, ihre Grüße an die Familie weiterzuleiten, trat Charles zurück. Devil trieb die Pferde an. »Honoria Prudence, du kannst einen Heiligen zur Weißglut bringen.«
In seiner sanften Stimme schwang unterschwellig Gereiztheit mit. »Du«, erklärte Honoria, »bist aber kein Heiliger.«
»Und das solltest du nie vergessen.«
Bemüht, ein äußerst merkwürdiges Frösteln nicht zu zeigen, blickte Honoria nach vorn.
Noch einmal unterwarfen sie sich dem Spießrutenlaufen – zwischen den langen Schlangen haltender Kutschen der grandes dames des ton hindurch –, dann lenkte Devil die Pferde heimwärts. Als sie den Grosvenor Square erreichten, hatte Honoria sich wieder ihrem für diesen Tag gesetzten Ziel zugewandt. Dem Ziel, das noch längst nicht erreicht war.
Die Tür wurde geöffnet, Devil folgte Honoria ins Haus. In der Eingangshalle standen Webster und Lucifer.
»Du kommst früh.«
Honoria wunderte sich über den Tadel in Devils Tonfall. Auch Lucifer schien überrascht zu sein, doch mit charmantem Lächeln beugte er sich über Honorias Hand. Als er sich wieder aufrichtete, sah er Devil an. »Als Entschädigung, sozusagen, für mein vorheriges Fernbleiben.«
Für sein vorheriges Fernbleiben? Honoria sah Devil an.
Seine Miene verriet nichts. »Du wirst uns entschuldigen müssen, meine Liebe. Die Geschäfte warten.«
Soso, die Geschäfte. Honoria überlegte blitzschnell, wie sie es bewerkstelligen könnte, bei ihnen bleiben zu dürfen. Ihr fiel nichts ein. Sie schluckte
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