In den Armen des Feindes
Bereitschaft. Um bei der schattenhaften Gestalt keinen Argwohn zu erregen, ging er zusammen mit den anderen ruhig auf die Burg zu. Wer immer der Unbekannte auch war, er flitzte blitzschnell zwischen den Bäumen hindurch und bewegte sich geschickt durchs niedrige Unterholz.
Malcolm löste sich aus der Gruppe, um der Gestalt zu folgen. Er konnte ihn schnell einholen, und sein Opfer schien nicht zu bemerken, dass es verfolgt wurde.
Ein wenig dumm kam Malcolm sich allerdings vor, als er merkte, dass die herumschleichende Gestalt nur ein Junge war – Brady Millerson, ein gewitztes Kerlchen, das man in den Burghaushalt aufgenommen hatte. Gerade wollte Malcolm sich Brady schnappen und ihm einen tüchtigen Schrecken einjagen, weil er noch in der Dunkelheit draußen herumlief, doch der entschlossene Gang und die wachsamen Blicke des Jungen ließen ihn damit lieber noch ein wenig warten.
Bald trat Brady auf eine Lichtung hinaus, wo ein älterer Junge auf ihn wartete.
"Hier ist der Brief und eine Münze für dich. Meine Herrin bestand darauf, wie überaus wichtig es sei, dass die Nachricht Lord Northfield erreicht", erklärte Brady.
"Lord Northfield", wiederholte der Junge. "In acht Tagen wird er sie haben. Ganz bestimmt." Er wollte den Brief in einer schmutzigen Schultertasche verschwinden lassen, da trat Malcolm auf die Lichtung. Sein plötzliches Auftauchen ließ die Jungen vor Schreck sprachlos werden.
"Brady, du weißt, dass keine Botschaft die Burg verlassen darf, außer ich gebe die Erlaubnis dazu." Er nahm dem anderen Jungen den Brief mit dem seltsamen grünen Siegel aus der Hand. "Wer gab dir den Auftrag, diesen Brief zu überbringen?"
Brady verlor alle jungenhafte Prahlerei. Er verzog das Gesicht und war jetzt den Tränen nahe.
"Wenn du so etwas nicht noch einmal tust, kommst du ungestraft davon, Junge. Wer gab dir den Brief?"
"Gerta. Aber ich glaube nicht, dass sie auch die Absenderin ist."
Malcolm betrachtete das Siegel, das eine Blume darstellte, genauer. "Das glaube ich auch nicht." Er verbarg das Schreiben in seiner Tunika und wandte sich wieder an den Boten. "Dieses Mal kannst du deine Münze behalten, doch es wird keine weiteren Sendschreiben von Beaumont geben. Wir übergeben unsere Briefe einem Boten in der Burg, nicht im Wald. Hast du mich verstanden?"
Nachdem er den älteren Burschen fortgeschickt hatte, packte er Brady am Kragen und schaffte ihn zur Burg zurück.
Rosalind war noch nicht wieder in der Halle aufgetaucht. In der Hoffnung, dass er noch Zeit finden würde, die Botschaft zu lesen, eilte Malcolm deswegen in sein eigenes Gemach. Aber so gerne er auch erfahren hätte, was der Brief enthielt, so mischte sich gleichzeitig ein anderes Gefühl in seine Neugier, das ihm ausgesprochen unangenehm war.
Die Furcht vor Verrat.
Er wusste, dass es eine dumme Angst war. Rosalind hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich ihm gegenüber niemals loyal verhalten würde. Dennoch fuhr er fort zu glauben, dass sie vielleicht Vernunft annehmen würde. Ob dies nur eine törichte Selbstüberschätzung war? Der Brief in seiner Hand konnte aller Hoffnung jetzt ein Ende setzen.
Als Malcolm wieder in die Halle kam, saß Rosalind noch nicht auf ihrem Platz. Nun konnte er sich Zeit lassen.
"Guten Abend, Mylord."
Beim Klang ihrer wohllautenden Stimme blieb er stehen und versteckte rasch das Schreiben in seiner Tunika, bevor sie es entdecken konnte. Dann wandte er sich ihr zu, um sie zu begrüßen.
"Guten Abend, Rosalind." Er wies mit der Hand zur Halle. "Sollen wir zusammen eintreten?"
Sie nickte und nahm seinen Arm. Von allen Seiten wurden sie von den Burgleuten begrüßt, die keinen Hehl aus ihrer Freude machten, ihre frühere Herrin und den neuen Herrn beisammen zu sehen. Wieso wollte Rosalind nicht wahrhaben, dass alle Bewohner der Burg sich eine Heirat wünschten?
"Ihr seht heute Abend entzückend aus", meinte Jamie mit einer höfischen Verbeugung. Zweifellos zollte er Rosalind die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, weil er wusste, dass er Malcolm damit ärgern konnte.
"So wie Ihr heute mit der Sense gearbeitet habt, beschämt Ihr uns alle, Mylord", rief einer von Rosalinds Gefolgsleuten, der neben Malcolm auf dem Feld gearbeitet hatte.
Abrupt drehte Malcolm sich um. "Wir müssen reden." Er hatte keine Lust, während des Essens neben Rosalind zu sitzen und die ganze Zeit zu überlegen, was sie wohl wieder für Unheil hinter seinem Rücken ausbrütete.
"Jetzt?" Sie blickte über die Schulter
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