In den Armen des Freibeuters: Erst wies sie ihn ab - doch dann entflammte seine Leidenschaft ihr Herz (German Edition)
geantwortet hatte. Er wusste nicht, was er schreiben sollte, denn schließlich war er genau das geworden, was Jessica verabscheute: ein Schmuggler, Kaperfahrer und zuletzt wohl sogar ein Pirat.
Noch nie hatte er den Trennungsschmerz von Boston, seinen Freunden und seiner »Familie« so heftig empfunden wie damals. Der Abschied war ihm endgültig vorgekommen. Und das war er auch gewesen. Er konnte herkommen, sie alle wiedersehen und besuchen, aber er würde wohl nie wieder wie früher dazugehören. Das war vorbei.
Die Gruppe betrunkener Matrosen befand sich immer noch in seiner Nähe. Sie blieben einige Meter vor Jack stehen, lachten und stießen sich gegenseitig an. Schließlich kamen sie auf ihn zu.
»Hallo, Kamerad. Uns ist das Geld ausgegangen.«
»Haut ab, wenn ihr nicht den Rest eures Landurlaubs im Hafengefängnis verbringen wollt.« Jack war mit einem Mal schlecht gelaunt.
»Der Gentleman mag uns nicht. Da müssen wir wohl andere Saiten aufziehen«, lallte der Anführer.
Jack ging verärgert weiter, aber sie blieben ihm auf den Fersen, selbst als er in eine Seitengasse einbog. Als er abermals um eine Ecke bog, bemerkte er, dass ihm nicht mehr alle folgten. Er war zuerst erleichtert, dann sah er den Rest von ihnen von vorne kommen. Er schob sich in den Schatten. Die verflixten Kerle waren wirklich auf eine Schlägerei aus. Sie gingen nebeneinander über die ganze Breite der engen Straße, so dass er sich nicht einmal in einen Hauseingang drücken konnte, um sie vorbeigehen zu lassen.
Jack sah sich um. Sein Weg hatte ihn an die Hinterseite von Jessicas Haus gebracht, und er stand nun genau vor der Hintertür, die in den Garten führte. Er probierte den Knauf. Versperrt. Natürlich, es wäre ja auch zu bequem gewesen.
Nun standen ihm zwei Wege offen. Der eine führte in die Arme der Betrunkenen und in eine Schlägerei, bei der er bestimmt den Kürzeren ziehen würde. Und der zweite über die Mauer und in den Garten.
Kurz entschlossen sprang er im Schatten hoch, fasste den Mauervorsprung und zog sich hinauf.
Alle anderen im Haus schliefen schon längst, aber Jessica lag wach in ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit.
Vanessa hatte zur Feier der glücklichen Heimkehr von Robert und Smithy ein kleines Fest veranstaltet. Jessica war zuerst still dabeigesessen, aber dann hatte Smithy ihr ein Glas Wein gebracht, mit ihr angestoßen, sich neben sie gesetzt und ihr endlich ausgiebig von ihren Erlebnissen erzählt. Welche Häfen sie angelaufen waren, wie geschickt Jack Handel trieb, und wie geachtet er unter den Männern als Captain und wie … »ne, nich gefürchtet … sagen wir mal respektiert« er bei anderen war. Jessica hatte den Eindruck gehabt, dass Smithy bei seinen Erzählungen so einiges ausließ, was die Art von Jacks Geschäften betraf, und dass man »Handel« eher durch »illegale Geschäfte« hätte ersetzen können, aber sie hatte gierig jedes Wort eingesogen und jedes noch so kleine Detail aufgenommen. Jack war gesund, es ging ihm gut. Das war es, was sie am meisten interessiert hatte. Und dann erst hatte sie den Abenteuern gelauscht, die Smithy in seiner bekannt launigen Art erzählte, mit der er sie oft zum Lachen brachte.
Ihre Familie und sie waren erst spät aufgebrochen, und Jessica hatte sich glücklicher gefühlt, Jack näher. Aber nun, in ihrem Bett, brachen Traurigkeit und Enttäuschung wieder über sie herein. Jack befand sich knapp über zweihundert Meilen von Boston entfernt, war näher als seit vielen Jahren, und fand es nicht einmal der Mühe wert, sie zu besuchen oder ihr wenigstens zu schreiben. Er hatte ihr von Smithy nicht mehr als einen kurzen mündlichen Gruß überbringen lassen. Für ihn war sie doch immer wie eine kleine Schwester gewesen. Hatte sich das geändert? Konnten die vielen Jahre der Kameradschaft, der Art, wie er sich brüderlich um sie gekümmert, wie er sich nach diesem Unfall, der sie lange Zeit entstellt hatte, um sie bemüht hatte, plötzlich ausgelöscht sein?
Sie hatte keinen älteren Bruder, da dieser im Alter von drei Jahren gestorben war, und so hatte Jack diesen Platz eingenommen. Er war auch immer für sie da gewesen, verlässlich, brüderlich, hatte sie beschützt, ihr Standpauken gehalten, sie trotzdem aus Schwierigkeiten befreit, sie gedeckt, wenn sie etwas angestellt hatte. Dass aus ihrer kindlichen Zuneigung später mehr geworden war und sie sich in den letzten Jahren sogar darin verrannt hatte, war jedoch ihre eigene Schuld. Das konnte
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