In den eisigen Tod
helfen: »Wilson hinterlässt eine Witwe, und Edgar Evans auch eine Witwe in bescheidenen Verhältnissen. Tu, was Du kannst, damit ihre Ansprüche anerkannt werden.« Er schrieb auch an eine Reihe von Leuten, die mit der Expedition zu tun hatten, unter anderem an ihren Schatzmeister, Sir Edgar Speyer, und seinen Agenten, Joseph Kinsey. In seiner »Botschaft an die Öffentlichkeit« rechtfertigte er die Entscheidungen, die er getroffen hatte, denn er wusste, dass es im Tode wie im Leben Leute gab, die ihn kritisieren würden. An Markham schrieb er nicht direkt, trug aber Kathleen folgendes auf: »Ich habe keine Zeit, Sir Clements zu schreiben. Bitte, sag ihm, dass ich oft an ihn gedacht und niemals bereut habe, dass er mir zum Kommando über die Discovery verholfen hat.«
Natürlich blieben Scotts innigste Gedanken und Gefühle seiner »lieben, lieben« Mutter und Kathleen vorbehalten. Wie er Hannah Scott gestand: »Um meinetwegen bin ich nicht unglücklich, aber für Kathleen, Dich und den Rest der Familie ist es mir sehr weh ums Herz.« In einem »an meine Witwe« gerichteten Brief schrieb er: »Was könnte ich Dir alles über diese Reise erzählen. Um wie viel besser ist es gewesen als zu Hause in allzu großer Bequemlichkeit herum zu faulenzen. Was für Geschichten hättest Du für den Jungen. Aber was für ein Preis ist dafür zu bezahlen.« Vielleicht vom Glauben seiner beiden Kameraden inspiriert, bat er Kathleen eindringlich, sie solle versuchen, ihrem Sohn den Glauben an einen Gott einzuflößen, denn »er ist tröstlich«. Er bat sie auch, ihren Sohn vor Trägheit zu bewahren. In den Stunden seines Todes dachte er vielleicht auch an seine eigene Kindheit zurück, an den kleinen Tagträumer, den sie »Old Mooney« genannt hatten, und an das Elend, in das die Nichtsnutzigkeit seines Vaters sie gestürzt hatte. Er bat Kathleen inständig, dafür zu »sorgen, dass der Junge ein Interesse für die Naturkunde« entwickle, und ermunterte sie, sich wieder zu verheiraten: »Wenn der richtige Mann kommt, um Dir im Leben zu helfen, solltest Du wieder ganz Du selbst und glücklich sein – ich war kein sehr guter Ehemann, aber ich hoffe, ich werde eine gute Erinnerung sein.« Tatsächlich gab Kathleen, während er im Sterben lag, in London gerade eine Party und hoffte stündlich auf Nachrichten von ihm. Ihr Bruder Rosslyn war dabei und sah, unter welcher Spannung sie stand, aber er bemerkte auch: »Neuer Mut strahlte ihr aus dem Gesicht.« 8
Am 29. März, an dem Tag, den man für seinen Todestag hält, obwohl dies keineswegs sicher ist, machte Scott einen letzten Eintrag in sein Tagebuch und berichtete über die bittere Frustration ihrer letzten Tage, als sie sich jeden Morgen darauf vorbereitet hatten, zu »unserem 20 Kilometer entfernten Depot« zu marschieren, nur um feststellen zu müssen, dass »vor dem Eingang des Zeltes wildes Schneetreiben herrschte«. Er blickte nun dem Tod ins Auge: »Ich glaube nicht, dass wir jetzt noch auf irgendeine Besserung hoffen können. Wir werden bis zuletzt durchhalten, aber wir werden natürlich schwächer, und das Ende kann nicht mehr weit sein. Es ist wohl bedauerlich, aber ich glaube, ich kann nicht mehr weiterschreiben. R. Scott.« Das Tagebuch endet mit einem dahingekritzelten Appell: »Kümmert Euch um Gottes willen um unsere Angehörigen!« Darin liegt ein bitteres Pathos. Seit seiner frühen Kindheit hatte Scott die Last der Verantwortung für andere getragen, mit all den damit einhergehenden Gefühlen von Schuld und Unzulänglichkeit. Jetzt ließ er Mutter, Frau und Kind allein zurück sowie die Angehörigen derer, die ihm bis zum Pol gefolgt waren.
Als sie frierend und hungernd in ihrem kleinen Zelt draußen auf dem Ross-Schelfeis lagen, müssen Scott, Wilson und Bowers sich gefragt haben, ob der Rest der Welt je von ihrem Schicksal erfahren würde – ihr Zelt hatten sie zwar akkurat entlang der Linie von Steinhaufen zwischen den Depots aufgeschlagen, aber es würde schon bald von dem treibenden Schnee zugeweht sein. In der Tat sollte es acht Monate dauern, ehe ihre Leichen entdeckt wurden und ihre gramerfüllten Kameraden ihre Briefe und Tagebücher finden und Scotts leidenschaftliche »Botschaft an die Öffentlichkeit« lesen sollten: »Hätten wir überlebt, hätten wir eine Geschichte zu erzählen gehabt über die Entbehrungen, das Durchhaltevermögen und den Mut meiner Gefährten, die das Herz jedes Engländers angerührt hätte. Nun aber müssen diese
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