In den eisigen Tod
sein Vater an einer Herzkrankheit und an der Wassersucht und hinterließ wenig mehr als 1500 Pfund. Scott und Archie einigten sich mit der für sie charakteristischen Schnelligkeit und Großzügigkeit. Archie konnte von seinem Sold der Haussa-Truppe auf 200 Pfund im Jahr verzichten. Scotts gesamtes Jahresgehalt lag kaum darüber, aber es gelang ihm, 70 Pfund pro Jahr zusammenzukratzen, um zum Unterhalt seiner Mutter beizutragen. Sie zog mit ihren Töchtern Grace und Katherine, die sich als Schneiderinnen selbständig gemacht und die sich, noch kühner, in den Kopf gesetzt hatten, nach Paris zu gehen, um Mode zu studieren, nach London und mietete eine Wohnung über einem Putzmachergeschäft in Chelsea. Scott schrieb seiner Mutter beifällig: »Ich glaube aufrichtig, dass wir eines Tages dem Schicksal dafür dankbar sein sollten, dass es uns aus unserer ›verschlafenen Mulde‹ des alten Lebens in Plymouth herausgeholt hat.« 6 Seine Gefühle für Hannah grenzten an Verehrung: »Wenn jemals Kinder Grund hatten, ihre Mutter anzubeten …« 7
Allerdings schlossen ihn die Opfer, die er jetzt für Mutter und Schwestern brachte, von allen gesellschaftlichen Vergnügungen aus. Er musste sich genau überlegen, ob er sich auch nur ein Glas Sherry genehmigte – oder eines annahm, denn die Einladung hätte er nicht erwidern können. Eine Frau zum Abendessen auszuführen war unmöglich, was für einen Mann, der einige jugendliche Schwärmereien hatte und hübsche und kluge Frauen mochte, sehr misslich gewesen sein muss. Er konnte nur dafür sorgen, dass seine Uniform stets adrett aussah. Sein Freund J. M. Barrie, der geistige Vater von Peter Pan, behauptete später, die Goldtressen auf seiner Uniform seien stumpf geworden und er habe wahrscheinlich auch seine Socken stopfen müssen. Mit Sicherheit war allein schon der Verdruss, sich ständig mit Geldsorgen herumplagen zu müssen, etwas, was ihm nie aus dem Kopf ging. Der Träumer, der Schwärmer und der Idealist mussten dem Pragmatiker Platz machen. Zweifel mussten zurückgestellt, unlösbare philosophische Fragen vermieden und Unsicherheiten gemeistert werden. Und es drohte noch größeres Unheil. 1898 kam Archie auf Urlaub nach Hause, »so sprudelnd vor Leben«, wie Scott der Mutter schrieb. 8 Einen Monat später ging er nach Hythe zum Golf spielen, erkrankte an Typhus und starb. Nun lastete eine noch größere Bürde auf Scott, obwohl Ettie inzwischen einen Herrn William Ellison-Macartney, der für South Antrim im Parlament saß, geheiratet hatte und dieser großzügig anbot, etwas zu Hannahs Unterhalt beizutragen.
So standen die Dinge, als Scott nur ein paar Monate nach Archies Tod auf der Buckingham Palace Road zufällig Sir Clements Markham begegnete. Die Schicksalsschläge hatten in ihm die Entschlossenheit genährt, jede Chance zu ergreifen, um die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Mit seinem Ehrgeiz zielte er sogar noch höher hinaus, aber er glaubte inzwischen, »Pech zu haben«, als würde ihn ein böses Schicksal verfolgen. Er hatte das Gefühl, Widerstand leisten zu müssen oder unterzugehen. Als Sir Clements ihm von der Expedition erzählte, war er fest entschlossen, ihre Leitung zu übernehmen.
Kapitel 3
Die erste Fahrt in die Antarktis
Und damit war das große Abenteuer angestoßen. Sir Clements Markhams Träume konkretisierten sich und schienen in dem 31jährigen Scott Gestalt anzunehmen, der vom Scheitel bis zur Sohle wie eine Führungspersönlichkeit wirkte. Er war zwar nicht groß, aber kräftig gebaut, hatte breite Schultern, eine schlanke Taille und schmale Hüften. Und er strahlte gelassene Professionalität aus.
Außerdem war Markham ebenso schicksalsgläubig wie Scott und meinte, es sei die Vorsehung gewesen, die Scott aus der Victoria Station heraus direkt in seine Arme habe laufen lassen. Scott hatte sicherlich bemerkt, wie merkwürdig das alles war: »Was für seltsame Wendungen der Lauf eines Lebens nehmen kann!«, schrieb er. Als Scott sich zwei Tage nach ihrer Begegnung um die Leitung der Expedition bewarb, unterstützte ihn Markham, obschon er behutsam vorging. Schließlich handelte es sich um sein Lebenswerk, und trotz des Eindrucks, den er in The Lands of Silence vermittelte, hatte er durchaus auch andere mögliche Expeditionsleiter in Betracht gezogen. Er beriet sich mit Scotts Kapitän auf der Majestic , George Egerton, einem Mann, der Erfahrung in der Arktisforschung hatte und der Scott uneingeschränkt empfahl. Er zog auch
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