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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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es mir sehr fehlen.« Was für versteckte Andeutungen dieser Vers für Männer enthielt, die seit so vielen Monaten die Gegenwart von Frauen vermissten, lässt sich nur ahnen.
    Doch trotz dieser Gesellschaft ruhte die Verantwortung für die Führung und die Navigation und damit die Verantwortung für ihre Sicherheit ausschließlich auf Scotts Schultern, und es muss eine große psychische Belastung gewesen sein, zumal er sie seine Besorgnis nicht spüren lassen durfte. Sie erklärten es ihrerseits wahrscheinlich zur Ehrensache, sich ihm gegenüber nichts anmerken zu lassen. Mutterseelenallein auf der riesigen Eisdecke, diskutierten sie darüber, wer wohl in ihre Fußstapfen treten würde. Tatsächlich würden es wieder drei Männer sein, die im Laufe von Shackletons Nimrod -Expedition 1907–09 auf den magnetischen Südpol zusteuerten.
    Am 1. Dezember 1903 kehrten sie um und traten unter einem bleiernen Himmel ihre lange Rückreise zur Discovery an. Schon nach wenigen Tagen machte sich Scott Sorgen über das ewige Problem, dass ihnen im Fall einer Verspätung die Lebensmittel ausgehen würden. Eine Zeitlang hatte er Schuldgefühle gehabt, weil er genauso große Rationen aß wie Lashly und Evans, obwohl er erheblich weniger wog als sie, aber er wusste, dass er nicht anders konnte. Er zerbrach sich auch immer noch den Kopf darüber, wie er den Weg finden würde. Auf den Optimismus seiner Kameraden war er sogar noch mehr angewiesen – er bemerkte, dass es ihnen stets gelang, etwas zu entdecken, über das sie Witze reißen konnten. Evans war bekannt für seinen reichen Fundus an Anekdoten und wunderbar anschaulichen Flüchen à la: »Möge der Fluch der Sieben Blinden Hexen von Ägypten über dich herabkommen!«
    Die Bedingungen blieben grauenhaft. Ein scharfer Wind blies ihnen entgegen, und der Schnee unter ihren Füßen war so schwer, dass sie das Gefühl hatten, den Schlitten durch Sand zu ziehen. Sie schafften nur knapp zwei Kilometer in der Stunde, und es war eine Knochenarbeit für Männer, die immer stärker von Hunger und Erfrierungen geplagt wurden. Evans hatte besonders schlimme Probleme mit seiner Nase. Scott stellte fest, dass das Gasöl – wahrscheinlich infolge Verdunstung oder eines Lecks – knapp wurde – Probleme, die er nicht gründlich genug untersucht hatte und mit denen er auf seiner Reise zum Pol noch einmal konfrontiert werden sollte, aber dann mit viel schwerer wiegenden Konsequenzen. Er dehnte deshalb die Zeit, die sie täglich zu marschieren hatten, weiter aus. Am 10. Dezember sichtete Evans mit seinen scharfen Augen jenseits des Plateaurandes Land, aber jetzt stellte sich die Frage, wie sie ihren Weg zurück finden sollten. Konnten sie unter den vielen Gletschern, die vom Plateau herabflossen, den Ferrar-Gletscher identifizieren, auf den sie sich Wochen zuvor so mühsam hinauf geschleppt hatten? Die Bergspitzen, an denen sie sich vielleicht hätten orientierten können, waren in Nebel gehüllt. Wie Scott selbst zugab, bewegte er sich »auf gut Glück« voran. Langsam und behutsam begannen sie den Abstieg, wobei sie ebenso auf ihr Glück vertrauten – was Scott oft zu tun schien – wie auf ihren Orientierungssinn.
    Am 14. Dezember gerieten sie an den Rand einer Katastrophe. Sie manövrierten den Schlitten um kleine Eishügel herum und über tückisch aussehende Spalten hinweg und tauchten auf einem sanften Abhang auf. Scott führte den Schlitten vorn, und Evans und Lashly hielten ihn hinten fest, als Lashly plötzlich den Halt verlor. Sofort sauste er den Hang hinunter und fiel auf den Rücken. Evans war ähnlich ausgerutscht, und ehe Scott bemerkte, was geschah, waren die beiden Männer und der Schlitten an ihm vorbei gerast. Scott bemühte sich, sie zu stoppen, aber er hätte genauso gut versuchen können, einen Schnellzug aufzuhalten. Die Beine gaben unter ihm nach. Er fühlte, »dass er irgendwie gespannt war, was als nächstes passieren würde«, und bemerkte dann, dass sie aufgehört hatten, sanft abwärts zu gleiten, und jetzt über einen viel unebeneren Grund rollten. Er war sich sicher, dass sie sich Arme und Beine brechen würden, als sie plötzlich hoch in die Luft flogen und mit einem mächtigen Krach auf einer harten Schneefläche aufschlugen. Sie waren kräftig durchgerüttelt worden und hatten sich üble blaue Flecken zugezogen, aber zu ihrem größten Erstaunen hatte sich keiner ernstlich verletzt. Als sie nach oben blickten, sahen sie, dass sie von einer der Eiskaskaden

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