In den Fängen der Macht
er war nicht beeindruckt.
Tauntons Wangen wurden röter.
»Sie haben sich ebenfalls geändert«, sagte er mit leichtem Lächeln. »Keine eleganten Hemden und Stiefel mehr. Dachte, Sie würden sich mittlerweile alles speziell anfertigen lassen. Harte Zeiten hinter sich, was?« In seiner Stimme war die Schadenfreude zu hören. »Dundas riss Sie wohl mit ins Verderben, was?«
Dundas. Mit blendender Klarheit sah Monk das sanftmütige Gesicht, die intelligenten, klaren blauen Augen, die von tiefen Lachfalten umgeben waren. Dann überzog sich das Gesicht plötzlich mit Kummer und wütender Hilflosigkeit. Er wusste, dass Dundas tot war. Er war fünfzig Jahre alt gewesen, vielleicht fünfundfünfzig. Monk selbst war damals in den Zwanzigern gewesen und hatte gehofft, Handelsbankkaufmann zu werden. Arrol Dundas war sein Mentor gewesen, der durch einen finanziellen Zusammenbruch, für den man ihm fälschlicherweise die Schuld zugeschoben hatte, in den Ruin getrieben worden war. Er war im Gefängnis gestorben.
Am liebsten hätte Monk in das höhnisch grinsende Gesicht vor sich geschlagen. Er spürte, wie heißer Zorn in ihm aufstieg, wie sich sein Körper verkrampfte und sich seine Kehle dermaßen zuschnürte, dass es schwierig wurde, zu schlucken. Er musste sich zusammennehmen und seine Gefühle vor Taunton verbergen. Er musste alles verbergen, bis er genügend in Erfahrung gebracht hatte, um handeln zu können.
Wie viel wusste Taunton von Monk? Wusste er, dass er Polizist geworden war? Monk konnte nicht sicher sein.
Sein Ruf war zwar weit verbreitet, denn er war einer der besten und skrupellosesten Ermittler gewesen, die die Polizei je gehabt hatte, aber es konnte sein, dass er nie Gelegenheit gehabt hatte, hierher zu den West India Docks zu kommen.
»Ein kleiner Richtungswechsel«, antwortete er hinterhältig.
»Ich hatte noch verschiedene Schulden einzutreiben.« Er gestattete sich ein Lächeln, ein listiges Lächeln, wie er es beabsichtigt hatte.
Taunton schluckte. Seine Augen wanderten unruhig über Monks gewöhnliche Kleidung, die dieser absichtlich gewählt hatte, um am Fluss und auf den Docks unauffällig zu wirken.
»Sieht nicht so aus, als wären es große Schulden gewesen«, bemerkte er.
»Ich habe sie noch nicht alle eingetrieben«, antwortete Monk, dem die Worte entschlüpft waren, bevor er darüber nachgedacht hatte.
Taunton erstarrte, aber seine Hände bewegten sich nervös und seine Blicke ließen Monks Gesicht nicht los.
»Ich schulde Ihnen nichts, Monk! Und nach einundzwanzig Jahren weiß ich nicht, wer das noch tun könnte.« Er schnaubte leicht. »Wir haben stets gut mit Ihnen zusammengearbeitet. Jeder heimste seinen Profit ein. Und niemand wurde je dabei ertappt, soweit ich weiß.«
Ertappt. Das Wort traf Monk wie ein körperlicher Schlag. Ertappt von wem? Er wagte nicht zu fragen. Wessen klagte man Dundas an, was war es gewesen, was ihn in den Ruin getrieben hatte? Monk konnte sich nur an die Wut erinnern, die er verspürt hatte, und an die absolute Überzeugung, dass Dundas unschuldig war, zu Unrecht beschuldigt wurde und er, Monk, einen Weg hätte finden müssen, dies zu beweisen.
Aber hatte das etwas mit Taunton zu tun gehabt? Oder wusste Taunton nur davon, weil es alle wussten?
Monk gierte nach der Wahrheit, der ganzen Wahrheit, mehr als nach allem anderen, was ihm in den Sinn kam. Immer schon hatte ihn diese Gier verfolgt, seit er die ersten Erinnerungsblitze gehabt hatte, Fragmente nur, Gefühle, kurze Augenblicke der Erinnerung, die schon wieder Vergangenheit waren, ehe er mehr als einen Eindruck oder ein Gefühl bekam, einen Blick auf das Gesicht eines Menschen erhaschen konnte oder die Modulation einer Stimme ahnte. Und stets war das alles von einem Gefühl des Verlustes begleitet, einem Schuldgefühl, dass er diesen Verlust hätte verhindern sollen.
»Besorgt?«, fragte er und starrte Taunton an.
»Nicht im Mindesten«, erwiderte dieser, und sie wussten beide, dass es eine Lüge war. Sie hing zwischen ihnen in der Luft.
Zum ersten Mal freute Monk sich darüber, Furcht einflößend zu sein. Zu oft hatte ihn seine Fähigkeit zur Einschüchterung gestört, und er hatte sich schuldig gefühlt für den Teil seines Ichs, der dies in der Vergangenheit genossen haben musste.
»Kennen Sie einen Mann namens Shearer?« Abrupt wechselte er das Thema, nicht um Taunton in Bedrängnis zu bringen, sondern weil er nicht mehr wusste, was er über die Vergangenheit sagen sollte. Überdies
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