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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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stehen.
    »Guten Morgen, Sir. Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der junge Mann hinter dem Schreibtisch.
    Monk konnte sich nur mit Mühe konzentrieren und rang nach Worten.
    »Ja… ich muss mit Mr. –« Der Name Taunton schoss ihm durch den Kopf, er hatte keine Ahnung, weshalb.
    »Ja, Sir? Mit wem wollten Sie sprechen?«, fragte der Mann hilfsbereit.
    »Arbeitet hier ein Mr. Taunton?«
    »Ja, Sir. Meinen Sie den älteren oder den jüngeren Mr. Taunton?«
    Monk hatte keine Ahnung, aber er musste antworten. Er ließ sich eher vom Instinkt als von Überlegungen leiten.
    »Den älteren.«
    »Gewiss, Sir. Wen darf ich melden?«
    »Monk. William Monk.«
    »Gerne, Sir. Wenn Sie bitte hier warten wollen, ich werde es ihm sagen.«
    Binnen Minuten wurde ihm mitgeteilt, dass er empfangen werden würde, woraufhin Monk zu einer anmutig geschwungenen Treppe gewiesen wurde, die zu einem Treppenabsatz führte. Er konnte sich nicht daran erinnern, was der Mann in der Halle gesagt hatte, aber er zögerte nicht, nach links zu gehen, bis zum Ende des Korridors. Alles kam ihm vertraut vor, ein wenig kleiner vielleicht, als er es in Erinnerung hatte, aber er wusste, wie sich der Türgriff anfühlen würde, bevor er ihn berührte, und erinnerte sich an das leichte Stocken, bevor die Tür endgültig aufschwang.
    Der Mann in dem behaglich eingerichteten Raum erwartete ihn stehend. Sein Gesicht drückte Überraschung aus, und seine Körperhaltung signalisierte Unbehagen. Er war ein wenig älter als Monk, fünfzig Jahre vielleicht. Sein kastanienfarbenes Haar wich bereits aus der Stirn, seine Wangen waren gerötet. Monk wusste, dass der jüngere Mr. Taunton sein Halbbruder war, nicht sein Sohn, und ein größerer und dunkelhaariger Typ mit fahler Gesichtshaut.
    »Sieh mal einer an!«, sagte Taunton nervös. »Nach all den Jahren! Was bringt Sie hierher, Monk? Dachte schon, Sie würde ich nicht mehr zu Gesicht bekommen.« Er wirkte verblüfft, als ob Monks Auftauchen ihn verwirrte. Er konnte nicht umhin, Monk anzustarren, erst sein Gesicht, dann seine Kleidung, und selbst seine Stiefel ließ er nicht unbeachtet.
    Monk erkannte, dass Taunton älter war, als er erwartet hatte. Er konnte sich ihn nicht mehr mit vollem Haupthaar vorstellen, aber das Grau darin war neu, ebenso die Furchen in seinem Gesicht und eine gewisse Derbheit der Züge. Er hatte keinen Begriff davon, wie lange es her sein mochte, dass sie sich zum letzten Mal getroffen hatten, und unter welchen Umständen dies geschehen war. Hatte es mit seiner Arbeit als Polizist zu tun gehabt, oder war es gar noch früher gewesen? Dann müssten es zwanzig Jahre oder mehr sein und weit zurück in einer Vergangenheit liegen, die Monk vollkommen verloren hatte und die sich nicht einmal durch die Bruchstücke wieder zusammensetzen ließ, die er hier und da von Menschen aufgeschnappt hatte, mit denen er anlässlich seiner Ermittlungen zu tun gehabt hatte.
    Er konnte es sich nicht leisten, darauf zu setzen, dass Taunton ein Freund war; dies konnte er von niemandem erwarten. Das Wenige, was er über sein Leben wusste, zeigte, dass er mehr gefürchtet als geliebt worden war. Es mochte alle möglichen Arten von unbezahlten Schulden geben, von ihm ebenso wie von anderen. Dies war wieder einmal eine Gelegenheit, bei der er sich innigst wünschte, sich selbst besser zu kennen, zu wissen, wer seine Feinde waren und weshalb, und ihre Schwächen zu kennen.
    Er forschte in Tauntons Gesicht und konnte keine Freude entdecken. Sein Gesicht drückte Wachsamkeit und Vorsicht aus, ebenso allerdings erwachende Schadenfreude, als ob er Monks Unsicherheit gesehen hätte und sich darüber freuen würde.
    »Das Haus hat sich verändert.« Er spielte auf Zeit, in der Hoffnung, Taunton würden einige Informationen entschlüpfen, damit er wenigstens wusste, wie lange es her war, seit sie sich zuletzt getroffen hatten, und sogar, in welcher Stimmung dieses Treffen stattgefunden hatte und ob ihre Feindseligkeit offen oder indirekt gewesen war. Denn mit jeder weiteren Sekunde war er sich mehr und mehr sicher, dass zwischen ihnen Feindseligkeit herrschte.
    »Einundzwanzig Jahre, wenn ich mich nicht irre«, sagte Taunton mit einem leichten Schürzen der Lippen. »Uns geht es gut. Dachten Sie, wir könnten uns die nötigen Renovierungen nicht leisten?«
    Monk sah sich in dem Büro um. Es war gut ausgestattet, aber nicht luxuriös. Er gestattete sich, dass sich seine Beobachtungen in seinem Gesichtsausdruck widerspiegelten –

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