In den Fängen der Macht
aufs Meer gefahren war. War es ein britisches Schiff oder ein amerikanisches?
Vielleicht genügte das, was er bis jetzt in Erfahrung gebracht hatte ja, um Zweifel an Merrits Schuld zu wecken. Aber es würde sicher noch nicht genügen, um ihren Namen reinzuwaschen. Es würde immer Menschen geben, die sie für schuldig hielten, einfach weil ihre Unschuld nicht bewiesen werden konnte. Es würde heißen, sie sei noch einmal davongekommen. Das war nur wenig besser, als am Galgen zu enden, ein Leben in der Vorhölle. Würde sie jedoch mit Breeland nach Amerika zurückkehren, würde die Meinung Englands vielleicht nicht so viel Gewicht haben. Aber würde es auch genügen, Breeland vor dem Galgen zu retten, bei all dem Hass, der ihm entgegenschlug, und der Überzeugung der Öffentlichkeit, dass er schuldig war? Und würde er das Mädchen nicht zwangsläufig mit sich ins Verderben reißen?
Nicht dass diese Überlegungen irgendetwas an dem geändert hätten, was Monks Pflichten waren. Wahrscheinlichkeitsberechnungen anzustellen, ob ein Urteil so oder so ausfallen würde, waren Rathbones Aufgabe, obwohl er sich sicher war, dass Rathbone die Wahrheit ebenso interessierte wie ihn. Irgendjemand hatte drei Männer gefesselt und sie in den Kopf geschossen. Er musste wissen, wer dieser Jemand war, musste es zweifelsfrei feststellen, ob dies einen Sinn ergab oder nicht.
Monk betrat das nächste Schiffsmaklerbüro und bat, mit den Angestellten sprechen zu dürfen.
»Shearer?«, rief ein junger Mann in einem eng sitzenden Frack.
»Ja, ein sehr anständiger Mann. War Mr. Albertons Unterhändler.« Er atmete geräuschvoll ein. »Schreckliche Sache das. Grauenhaft. Gott sei’s gedankt, dass sie den Kerl haben, der das verbrochen hat. Kidnappte auch noch die Tochter, also, alles was Recht ist!«
Er machte ein hackendes Geräusch mit der Zunge.
»Wann haben Sie Shearer zum letzten Mal gesehen?«, fragte Monk.
Der Angestellte dachte einige Minuten lang nach. »Mit uns macht er eigentlich wenig Geschäfte«, erwiderte er.
»Aber ich habe ihn sicher schon einige Monate oder gar länger nicht mehr gesehen. Ich vermute, er ist sehr beschäftigt, jetzt, da der arme Mr. Alberton tot ist. Ich kann mir nicht vorstellen, was aus dem Geschäft werden soll. Es hat einen guten Ruf, aber ohne Mr. Alberton persönlich wird es nicht mehr dasselbe sein. Er war sehr verlässlich, ja, das war er. Verstand eine Menge von Verschiffung und auch vom Handel. Er wusste, wer was zu verkaufen hatte, und bezahlte immer faire Preise, ließ sich aber von niemandem zum Narren halten. Das kann man nicht ersetzen, auch wenn Mr. Casbolt ein brillanter Einkäufer ist, wie ich höre. Das ist eine Schande!«
»Ich kann niemanden finden, der Mr. Shearer nach Mr. Albertons Tod gesehen hätte«, sagte Monk.
Der Mann war überrascht. »Nun, ich auch nicht. Ich weiß nur, dass er große Stücke auf Mr. Alberton hielt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so verschwindet. Ich hätte angenommen, er würde sich weiterhin um das Geschäft kümmern, so gut er es kann, schon um der Witwe willen, der armen Frau. Das beweist wieder mal, dass man nie sicher sein kann, stimmt’s?«
»Nein. Mit wem machte Shearer am häufigsten Geschäfte, wissen Sie das?«
»Mit Pocock und Aldridge, oben an der West India Dock Road. Großer Laden. Wird Ihnen jeder bestätigen.«
Monk dankte ihm und ging. Es war eine beträchtliche Strecke bis zum West India Dock, also nahm er den ersten Hansom, den er sah, und kam fünfundzwanzig Minuten später an. Als er ausstieg und den Fahrer bezahlt hatte, drehte er sich zu dem Gebäude um und wusste plötzlich genau, wie es innen aussehen würde, als ob er es schon häufig aufgesucht hätte und dies nur ein weiterer Routinebesuch wäre.
Dies war nervtötend. Er hatte keine Ahnung, weshalb oder wann er hierher gekommen war, aber es konnte nicht während der Zeit nach seinem Unfall gewesen sein. Er schritt über das Pflaster, wäre um ein Haar mit einem mageren Mann in grauem Anzug zusammengestoßen, ging die wenigen Treppen hinauf und öffnete die Tür.
Das Innere des Gebäudes war vollkommen anders, als er es in Erinnerung hatte. Die Räumlichkeiten waren mehr oder weniger die gleichen, aber hier stand ein Schreibtisch, an den er sich nicht erinnern konnte, die Wände hatten eine andere Farbe, und der Fußboden, der höchst eigenwillig mit grauem und weißem Marmor gefliest gewesen war, bestand aus Holz.
Verwirrt blieb er
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