In den Fängen der Macht
und Nehmen. Und genau das bemerkte Monk in den Augen von Philo Trace, wenn dieser Judith Alberton ansah. Trace hegte keine Hoffnung, von ihr mehr als Freundschaft erwarten zu können, und vielleicht hätte er ihr auch dann nicht seine Hilfe entzogen, wenn sie ihm die Freundschaft verweigert hätte. Doch das war irrelevant. Ihm war keine Niederträchtigkeit im Denken, kein Eigennutz, wenigstens nicht, soweit Judith betroffen war, nachzuweisen.
Monk überquerte die Straße und setzte seinen Weg fort, passierte eine Muffinverkäuferin, die er kaum wahrnahm.
Er hatte niemals die Absicht gehabt, sich in Hester zu verlieben. Sehr früh in ihrer Bekanntschaft hatte er erkannt, dass sie die Macht hatte, ihn zu verletzen und von ihm eine Tiefe der Bindung zu verlangen, die er nicht zu geben bereit war. Während seines ganzen Lebens, wenigstens der Zeit, an die er sich erinnern konnte, hatte er einen solchen Verlust an Freiheit zu vermeiden gesucht. Und doch hatte er sie verloren. Hester hatte es geschafft, ihm die Freiheit zu nehmen, ob er es nun wollte oder nicht.
Doch das war nicht wahr. Er hatte sich aus freien Stücken dazu entschlossen, die Fülle des Lebens zu umarmen, anstatt nur eine Nebenrolle zu spielen und sich selbst vorzumachen, die Kontrolle zu bewahren, obwohl alles, was er tat, nur dazu diente, sich weiteren Erfahrungen zu verschließen und vor sich selbst davonzulaufen.
Er winkte den nächsten Hansom heran und nannte dem Kutscher seine Adresse in der Fitzroy Street. Er konnte seine Entscheidung nicht rückgängig machen, was immer sie auch kosten möge.
Er war bereits fast eine Stunde zu Hause, als Hester heimkehrte.
Sie sah müde und verängstigt aus. Sie zögerte, bevor sie ihre Jacke ablegte, die aus Leinen war und von dem staubigen Graublau, das sie so gern hatte. Ihre Augen forschten besorgt in den seinen.
Er wusste, was sie so sehr belastete, mehr als ihre Angst um Judith oder Merrit Alberton. Es war sein ausweichendes Verhalten während der letzten paar Tage, die Distanz, die er zwischen ihnen geschaffen hatte. Nun musste er eine Brücke bauen, mit welchem Ergebnis auch immer.
»Wie geht es ihr?« Seine Worte klangen belanglos. Genausogut hätte er irgendetwas anderes sagen können. Ausschlaggebend war jedoch, dass er ihr dabei in die Augen sah. Sie bemerkte den Unterschied. Es war fast, als hätte er sie mit der gewohnten Vertrautheit berührt.
»Sie hat Angst um Merrit«, antwortete sie. »Ich hoffe, Oliver kann eine ebenso schlagkräftige Beweisführung vorbringen wie Deverill. Und ich wünschte, Breeland würde Merrit einmal berühren. Sie sieht so verloren aus dort oben.« Wieder waren es nicht die Worte, die wichtig waren. Es war die Weichheit ihres Mundes, die Tatsache, dass sie nicht ein Mal blinzelte, als sie ihn ansah.
»Er glaubt an seine Sache«, sagte er. »Er sieht zwar das Leid einer Million Sklaven und das moralische Unrecht ihres Daseins, die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten – aber er wagt es nicht, einen Blick auf die Einsamkeit und die Bedürfnisse eines einzigen menschlichen Wesens zu werfen, das ihn braucht. Das ist zu… persönlich, zu intim und geht ihm zu sehr unter die Haut.«
Sie löste die Nadel, die ihren Hut befestigte, und nahm ihn ab, aber sie ließ Monk nicht aus den Augen. Sie wusste, er war noch nicht bei dem Punkt angelangt, den er eigentlich ansprechen wollte.
»Liebt er Merrit?«, fragte sie.
»Ist das von Belang?«
Sie stand bewegungslos vor ihm. Sie wusste nicht, warum, in ihren Augen lag Verblüffung, aber sie spürte, dass er aus anderen Gründen fragte, als seine bloßen Worte vermuten ließen, und dass dies eine persönliche Frage war.
»Zumindest zum Teil«, sagte sie vorsichtig. »Die Anliegen, für die er kämpft, sind auch von Belang.«
»Und Philo Trace?«, fuhr Monk fort. »Er liebt Judith. Ich nehme an, du hast das bemerkt?«
Ein Lächeln spielte um ihren Mund und erlosch wieder.
»Natürlich habe ich es gesehen. Es ist so offensichtlich, dass sogar sie selbst es bemerkte. Warum?«
»Und macht es ihr etwas aus, dass er ein Südstaatler ist und für die Sklavenstaaten kämpft?«
Ihre Augen wurden groß. »Ich habe keine Ahnung. Warum fragst du? Magst du ihn? Ich jedenfalls mag ihn.«
»Aber du verabscheust doch die Sklavenhaltung…«
Tief in ihren Augen zog ein Schatten auf. Sie wusste, er hatte immer noch nicht das ausgesprochen, was ihm auf der Seele brannte, doch sie konnte sich nicht vorstellen, was es war. Würde ihre
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