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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eigenen Augen gesehen. Ich sah…« Sie schluckte. »Ich sah, wie viele Männer getötet wurden. Ich hatte nie gedacht, dass es so schrecklich sein würde. Bis man eine Schlacht gesehen, gehört und gerochen hat… kann man sich keine Vorstellung davon machen, was das wirklich bedeutet. Bis dahin wissen wir nicht, was unsere Soldaten für uns erleiden.«
    Im Saal erhob sich bewunderndes, fast ehrfürchtiges Gemurmel.
    Rathbone erlaubte den Geschworenen gerade lang genug, Merrits Zerknirschung wahrzunehmen, um nicht den Anschein zu erwecken, als würde er dies absichtlich inszenieren, dann fuhr er fort.
    »Nach dem Streit, wo gingen Sie da hin, Miss Alberton?«
    »Ich ging hinauf in mein Schlafzimmer und packte einige persönliche Dinge – Toilettenartikel, ein Kleid zum Wechseln –, dann verließ ich das Haus«, erwiderte sie.
    »Ein Kleid zum Wechseln?« Er lächelte. »Trugen Sie nicht ein Abendkleid?«
    »Ein Dinnerkleid«, korrigierte sie ihn. »Aber natürlich keines, das für eine Reise tauglich gewesen wäre.«
    Deverill sah übertrieben gelangweilt aus. »Euer Ehren …«
    »O doch. Dies ist von Wichtigkeit«, sagte Rathbone lächelnd. Er wandte sich wieder an Merrit. »Und dann machten Sie sich auf den Weg zu Breelands Wohnung?«
    Sie errötete leicht. »Ja.«
    »Das muss ein äußerst gefühlsbetonter Moment für Sie gewesen sein, der Mut und Entschlossenheit erforderte.«
    »Euer Ehren!«, protestierte Deverill erneut. »Wir bezweifeln die außergewöhnliche Tapferkeit Miss Albertons keineswegs. Ein Versuch, unsere Sympathie zu wecken –«
    »Dies hat nichts, aber auch gar nichts mit Sympathie oder Tapferkeit zu tun, Euer Ehren«, unterbrach Rathbone ihn. »Es sind rein praktische Gründe.«
    »Ich bin froh, das zu hören«, erwiderte der Richter trocken.
    »Fahren Sie fort.«
    »Ich danke Ihnen. Miss Alberton, was taten Sie, als sie in Mr. Breelands Wohnung ankamen?«
    Sie wirkte verwirrt.
    »Unterhielten Sie sich? Aßen Sie etwas? Oder vertauschten Sie ihr Kleid mit dem, das Sie mitgebracht hatten?«
    »Oh… natürlich unterhielten wir uns eine Weile, dann trat er eine Weile vor die Tür, damit ich mich umziehen konnte.«
    Deverill murmelte verhalten vor sich hin.
    »Und die Uhr?«, fragte Rathbone. Plötzlich herrschte absolute Stille im Saal.
    »Ich…« Ihr Gesicht war weiß.
    Deverill war kurz davor, erneut zu unterbrechen. Rathbone überlegte, ob er Merrit daran erinnern sollte, dass sie geschworen hatte, die Wahrheit zu sagen, aber er fürchtete, sie würde die Wahrheit als niedrigen Preis dafür ansehen, Breeland nicht die Treue zu brechen.
    »Miss Alberton?«, hakte der Richter nach.
    »Ich erinnere mich nicht«, sagte sie und sah Rathbone an.
    Er wusste, dass sie log. In jenem Moment hatte sie sich mit aller Deutlichkeit erinnert, aber sie wollte es nicht zugeben. Hastig wechselte er das Thema.
    »Hatte Mr. Breeland Sie erwartet, Miss Alberton?«
    »Nein. Nein, er war sehr überrascht, mich zu sehen.« Röte überzog ihr Gesicht. Sie war sich der Tatsache voll bewusst, dass sie uneingeladen gekommen war. Als Hester ihr Unbehagen bemerkte, schien es ihr, als hätte Breeland sie nicht auf eine Weise empfangen, wie das ein Liebhaber getan hätte, sondern eher wie ein junger Mann, der höchst überrascht gewesen war und sich nun der Verpflichtung gegenübersah, seine Pläne zu ändern. Sie hoffte, dieser Eindruck ginge nicht unbemerkt an den Geschworenen vorüber.
    Rathbone stand elegant auf der freien Fläche vor der Richterbank, er hatte den Kopf leicht gebeugt, und das Licht glänzte auf seinem blonden Haar.
    Hester sah Breeland an. Auch er schien verlegen zu sein, obwohl es nicht leicht war, seine Gründe zu erraten.
    »Ich verstehe. Und nachdem Sie sich begrüßt hatten, Sie ihm Ihr Kommen erklärt hatten und er Ihnen erlaubt hatte, Ihre Kleider zu wechseln, was taten Sie dann?«, fragte Rathbone.
    »Wir beratschlagten darüber, was wir tun sollten«, erwiderte sie. »Muss ich Ihnen genau berichten, was wir sprachen? Ich bin nicht sicher, ob ich mich an alle Einzelheiten erinnere.«
    »Das ist nicht nötig. Waren Sie während der ganzen Zeit über zusammen?«
    »Ja. Es war gar nicht so lange. Kurz vor Mitternacht kam ein Bote mit einer Depesche, die besagte, dass mein Vater seine Meinung geändert hatte und Lyman die Waffen nun doch verkaufen wollte. Wir sollten umgehend mit dem Geld zum Bahnhof am Euston Square kommen.«
    »Wer schrieb die Depesche?«
    »Shearer, der Unterhändler meines

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