In den Fängen der Macht
Leidenschaft erlöschen? Würden dies die letzten Sekunden sein, die sein Blick auf ihr ruhen und die unverhohlene Zärtlichkeit in ihrem Gesicht und die Aufrichtigkeit wahrnehmen würde? Würde er die Minuten ausdehnen, sie hinauszögern, damit er sie nie vergaß?
»Ja«, stimmte sie zu.
»Ich erfuhr etwas über mich selbst, als ich zum Fluss ging, um nach Shearer zu suchen.« Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Sie verstand. Sie sah seine Furcht. Sie kannte die Finsternis bereits. Niemals hätte sie diese schreckliche, alles überflutende Furcht am Mecklenburg Square vergessen können, die ihn fast vernichtet hatte. Es war ihr Mut gewesen, der ihn zum Kampf bewogen hatte.
Nun trat sie auf ihn zu, blieb direkt vor ihm stehen, so nahe, dass er den Duft ihres Haares und ihrer Haut wahrnehmen konnte.
»Was hast du herausgefunden?«, fragte sie mit kaum wahrnehmbarem Beben der Stimme.
»In einer der Transportfirmen war ich kein Unbekannter. Der Mann erwartete, ich sei reich…« Dies zu sagen war genauso schwierig, wie er es sich vorgestellt hatte. Ihre Augen ließen keine Ausflüchte oder Beschönigungen zu. Wenn er jetzt log, würde er niemals wieder das zurückbekommen, was er verloren hatte.
»Als Polizist?« Ihr Gesicht war weiß, ihre Stimme klang gepresst. Er wusste, sie dachte an Bestechlichkeit. Sie schüttelte leicht den Kopf, als wollte sie diese Möglichkeit ausschließen.
»Nein!«, rief er hastig. »Davor noch. Als ich als Bankkaufmann arbeitete.«
Sie verstand nicht. Es war Zeit, unmissverständliche Worte zu finden, Worte, die nicht falsch aufgefasst werden konnten und vor denen man nicht fliehen konnte.
»Es sieht so aus, als habe ich mit Männern Geschäfte betrieben, die ihr Geld durch Sklavenhandel gemacht hatten… und es scheint, als hätte ich davon gewusst.« Er musste alles sagen. Jetzt würde es leichter fallen, als später noch einmal auf das Thema zurückzukommen. »Ich verhandelte im Auftrag von Arrol Dundas, meinem Mentor. Ich weiß nicht, ob ich ihm sagte, woher das Geld kam… oder nicht. Vielleicht täuschte ich ihn auch.«
Einen Moment lang schwieg sie. Die Zeit blähte sich zur Ewigkeit auf.
»Verstehe«, sagte sie schließlich. »Warst du deswegen … während der letzten paar Tage… so weit fort?«
»Ja…« Er wollte sie wissen lassen, wie sehr er sich schämte, er musste es sie wissen lassen, aber Worte waren zu banal. Keines hatte genügend Gewicht für das Ausmaß seiner Reue, nun, da er es zugelassen hatte, seine Ehre zu verlieren. Er hatte seinen eigenen Wert gemindert.
Sie lächelte, aber ihre Augen waren voller Traurigkeit. Sie streckte ihre Hand aus und berührte seine Wange. Es war eine zärtliche Geste. Sie machte nicht vergessen, was er getan hatte, aber sie ordnete es der Vergangenheit zu.
»Du hast oft genug zurückgeschaut«, sagte sie ruhig.
»Wenn du daraus Gewinn gezogen hast, ist das nun vorüber.«
Er hätte sie gerne geküsst, wäre ihr gerne so nahe gewesen, wie Menschen dies nur sein können, hätte sie gerne an sich gedrückt und ihre Stärke gespürt, aber er hatte die Kluft zwischen ihnen geschaffen, und nun war sie es, die sie überbrücken musste, andernfalls würde er niemals sicher sein, ob sie dies wünschte oder er es ihr aufgedrängt hatte.
Sie sah ihn noch einen Augenblick lang an, schätzte seine Gedanken ab, dann war sie zufrieden. Sie lächelte, legte die Arme um ihn und küsste seine Lippen.
Erleichterung überflutete ihn, nie zuvor war er für etwas dankbarer gewesen. Aus ganzem Herzen erwiderte er ihre Zuneigung.
Als am Morgen die Verhandlung fortgesetzt wurde, begann Rathbone mit seiner Verteidigung. Er stellte ein Selbstvertrauen zur Schau, das seinen wirklichen Gefühlen nicht im Entferntesten entsprach. Immer noch gab es keine Spur von Shearer und kein Anzeichen dafür, wohin er gegangen war. Natürlich, mit seinen Verbindungen zum Transportwesen konnte er überall in Europa, ja, in der ganzen Welt untergetaucht sein.
Aber Geschworene zogen eine Person vor, die sie sehen konnten und deren Schuld ihnen vor Augen geführt worden war, nicht eine vernünftige Alternative, die nichts weiter als ein Name war.
Rathbone musste den Schaden, den Deverill angerichtet hatte, reparieren, vor allem den emotionalen Eindruck, den dieser in den Köpfen der Juroren erzeugt hatte. Er begann, indem er Merrit in den Zeugenstand rief. Er beobachtete sie, während sie durch den Gerichtssaal schritt. Jeder im Saal war sich ihrer Nervosität
Weitere Kostenlose Bücher