In den Fängen der Macht
sich sicher war, war die Tatsache, dass sie es nicht ablehnen konnte, es wenigstens zu versuchen, und was am wichtigsten war:
Dieses Mal hatte sie Monk an ihrer Seite und war nicht allein. Sie war nicht mehr jung genug, um sich allzu sicher zu sein. Erfahrung hatte ihr die eigene Fehlbarkeit gezeigt. Aber als sie nun im Zug saß, der Dampfwolken ausstieß und unter dem riesigen gewölbten Baldachin des Bahnhofs hervorkroch, empfand sie ein Gefühl der Kameradschaft, das sie bei keiner ihrer früheren Reisen verspürt hatte. Sie und Monk mochten über alle möglichen Dinge streiten, über wichtige und belanglose, was sie auch häufig taten. Ihre Vorlieben und Betrachtungsweisen unterschieden sich häufig, aber so sicher wie nur irgendetwas wusste sie, dass er sie niemals willentlich verletzen würde und seine Loyalität ihr gegenüber unumstößlich war. Als der Dampf der Lokomotive am Fenster vorbeizog und der Zug ins Tageslicht hinausfuhr, bemerkte sie, dass sie lächelte.
»Was hast du?«, fragte er und sah sie an. Sie fuhren an grauen Dächern vorbei, an schmalen Straßen und schmutzigen, engen Gassen, die dicht nebeneinander lagen.
Sie wollte nicht sentimental wirken. Es wäre sicherlich nicht gut für ihn, wenn sie ihm die Wahrheit sagte. Sie musste etwas Vernünftiges und Überzeugendes sagen. Er kannte sie viel zu gut, um hastige Ausflüchte zu akzeptieren.
»Ich finde, es ist eine gute Sache, dass Mr. Trace uns begleitet. Ich bin sicher, er ist hier, auch wenn wir ihn noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Findest du, wir sollten ihm von der Uhr erzählen?«
»Nein«, erwiderte er umgehend. »Ich möchte erst abwarten und hören, welchen Bericht Merrit von jener Nacht zu geben hat.«
Sie zog die Stirn in Falten. »Glaubst du etwa, Breeland könnte ihr die Uhr abgenommen und sie absichtlich fallen gelassen haben? Das wäre eine äußerst kaltherzige und grausame Tat!«
»Aber effektiv«, antwortete er, und der Abscheu stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Es wäre eine hervorragende Warnung, dass er vor nichts zurückschrecken würde, sollten wir ihn verfolgen.«
»Aber er konnte doch nicht wissen, dass wir uns der Tatsache bewusst sind, dass er sie ihr geschenkt hatte«, gab sie zu bedenken. »Die Polizei würde doch nur seinen Namen darauf lesen. Judith würde es ihr auch nicht sagen, vor allem, wenn sie wüsste, dass man die Uhr gefunden hat.«
»Nein, aber sie würde wissen, was das zu bedeuten hätte«, antwortete er, und seine Lippen wurden schmal.
»Das ist doch alles, was er braucht. Er rechnete nicht mit Judith Albertons Mut, ihm einen privaten Ermittler hinterherzuschicken, oder mit ihrer Entschlossenheit, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, wie diese auch immer aussehen mag.«
Sie waren in den Außenbezirken der Stadt angelangt, weite, offene Felder erstreckten sich im Morgenlicht. Bäume bauschten sich wie grüne Wolken über den Grasflächen. Es würde ein langer Tag werden und zwei Nächte in einem fremden Bett bedeuten, bevor sie für die Atlantiküberquerung an Bord gehen konnten, um an einer fremden Küste wieder an Land zu gehen. Flüchtig wunderte sie sich, woher sie den Mut oder den Wahnsinn gehabt hatte, derartige Reisen schon früher unternommen zu haben, und noch dazu allein.
Sie kamen spät in Liverpool an und erst, als sie dem Gepäckträger über den Bahnsteig in Richtung Ausgang folgten, entdeckten sie Philo Trace. Er schritt auf sie zu und strahlte vor Erleichterung. Er begrüßte sie herzlich, und gemeinsam gingen sie los, um einen Hansom aufzutreiben, der sie zu einem bescheidenen Hotel nicht weit vom Ufer brachte, in dem sie die Zeit bis zur Abfahrt des Schiffes verbringen konnten.
Wie Judith Alberton gesagt hatte, hatte sie der Reederei telegrafiert und für sie eine Kabine reserviert. Es war ein Schiff, das hauptsächlich von Emigranten benutzt wurde, die hofften, sich in Amerika ein besseres Leben aufbauen zu können. Viele beabsichtigten, den Krieg hinter sich zu lassen und in den Westen zu ziehen, in die weiten Ebenen oder gar bis zu den gewaltigen Rocky Mountains. Dort würden sie ihre religiösen Überzeugungen leben können und weites Land vorfinden, auf dem sie der Wildnis Farmen abringen konnten, auf die sie in England niemals hoffen konnten.
Das Schiff sollte in Queenstown in Irland weitere Passagiere aufnehmen, halb verhungerte Männer und Frauen, die der Armut entfliehen wollten, die der Kartoffelpest gefolgt war, und gewillt waren, überall hinzugehen
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