In den Fängen der Macht
und jegliche Arbeit zu leisten, um für ihre Familien den Lebensunterhalt zu verdienen.
Es war ein eigenartiges Gefühl, wieder auf See zu sein. Der Geruch der eingeschlossenen Luft in der Kabine brachte Hester die Erinnerung an die Truppenschiffe zur Krim schärfer zu Bewusstsein als das Schwanken des Schiffs, die Geräusche des Meeres, der launenhaften Wellen und des Windes. Sie hörte die Schreie der Matrosen, die sich gegenseitig etwas zuriefen, und das Knarren der Planken. Das Gackern der Hühner und das Quietschen der Schweine bereitete ihr Unbehagen, denn sie wusste, dass die Tiere nur mitgeführt wurden, um später gegessen zu werden, wenn sie sich weit und weiter vom Land entfernten und die Lebensmittelvorräte allmählich verdarben und knapp wurden. Vor der Küste Irlands stand der Wind ungünstig. Es würde eine lange Überfahrt werden.
Sie waren in einer Kabine der ersten Klasse untergebracht, die winzige Kojen hatte, eine einzige kleine Waschschüssel, einen Nachttopf, der aus dem Bullauge geleert werden musste, sowie einen kleinen Schreibtisch und einen Stuhl. Die Kleidung konnte man an einen Haken hinter der Tür hängen. Monk sagte nichts, aber als sie sein Gesicht betrachtete und seine angespannte Stimme vernahm, wusste sie, dass er die Kabine als unerträglich bedrückend empfand. Es überraschte sie nicht, dass er sooft er konnte an Deck ging, selbst wenn das Wetter rauh war und die Meeresgischt hart und kalt in die Gesichter spritzte, obwohl es schon früher Juli war.
Glücklicherweise waren sie nicht gezwungen, im Zwischendeck zu reisen, wo Männer, Frauen und Kinder kaum Platz hatten, sich zu bewegen, und sich bei jedem Schritt gegenseitig anrempelten. Wurde jemand krank oder fühlte sich unwohl, hatte er keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Hier waren Kameradschaft, ein freundliches Wesen und Rücksichtnahme Notwendigkeiten, um zu überleben.
Die Überfahrt dauerte zwei Wochen, und am Montag, dem 15. Juli, warf das Schiff in New York Anker.
Hester war fasziniert. New York glich keiner der Städte, die sie je zuvor gesehen hatte. Diese Stadt war hart, es wimmelte von Menschen, man hörte vielerlei Sprachen, Lachen und Schreien, und die Hand des Krieges warf ihren Schatten bereits darüber, eine sonderbare Brüchigkeit schien in der Luft zu liegen. An den Hauswänden hingen Rekrutierungsplakate, und in den Straßen tummelten sich Soldaten in einem wilden Aufgebot an Uniformen.
Es schien Kopien von jeglicher Art militärischer Aufmachungen zu geben, von europäischen bis nahöstlichen, die französischen Soldaten sahen gar wie Türken aus mit ihren sackartigen Hosen, den bunten Feldbinden um die Hüften, den Turbanen oder scharlachroten Fezen mit den riesigen Quasten, die bis auf die Schultern hinabbaumelten.
Von jedem Hotel und jeder Kirche, an der sie vorüberkamen, flatterte das Sternenbanner und wurde en miniature an den Pferdegeschirren der Omnibusse und als Rosette an den Privatkutschen wiederholt.
Die Geschäfte schienen schlecht zu laufen, und die Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte, handelten von Preiskämpfen, Lebensmittelpreisen, von den neuesten Gerüchten, die in der Stadt kursierten, und von Skandalen, von Politik und Sezession. Sie war überrascht über Andeutungen, dass sich sogar New York und New Jersey von der Union abspalten würden.
Hester, Monk und Philo Trace nahmen den ersten möglichen Zug gen Süden nach Washington. Diese Stadt war übersät von Soldaten in blauen und grauen Uniformen, aber auch hier herrschten chaotische militärische Trachten vor. Wie die Soldaten auf dem Schlachtfeld Freund und Feind auseinander halten sollten, war Hester ein Rätsel, und der Gedanke bereitete ihr Sorge, aber sie sprach ihn nicht aus.
Erinnerungen bestürmten sie, als sie die jungen Gesichter der Männer sah, angespannt und voller Angst, dennoch versuchten sie verzweifelt, dies zu verbergen. Einige sprachen zu viel, mit lauten und verkrampften Stimmen, lachten über Nichtigkeiten – alles ein hauchdünnes Furnier prahlerischer Tapferkeit. Andere saßen still da, in Gedanken an zu Hause, an die unbekannte Schlacht, die vor ihnen lag, an den möglichen Tod. Hester war entsetzt, als sie sah, wie viele von ihnen keine Feldflaschen besaßen und Waffen trugen, die so alt oder in so schlechtem Zustand waren, dass sie für den Mann, der sie abfeuerte, eine größere Gefahr darstellten als für den Feind. Sie waren von solcher Mannigfaltigkeit, dass von keinem Quartiermeister
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