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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der Sie befördert«, sagte sie. »Sie werden wieder gesund. Ein Chirurg wird die Wunde nähen und sie bandagieren. Es wird eine Weile dauern, bis sie verheilt. Halten Sie sie aber sauber… achten Sie stets darauf.«
    »Ja, Ma’am.« Seine Stimme war schwach und sein Mund ausgetrocknet. »Ich danke Ihnen…« Er verstummte, aber der Dank stand in seinen Augen. Nicht, dass Hester ihn gebraucht hätte, ihre Belohnung war ihr Tun und ihre Hoffnung. Sie hatte den Schmerz ein wenig gemildert und – wenn sie Glück hatte – ein Leben gerettet.
    Ungelenk erhob sie sich. Dann sah sie sich suchend nach jemandem um, der ihnen helfen konnte. Sie entdeckte einen Soldaten mit gebrochenem Arm, einen anderen mit blutüberströmter Brust, der aber immer noch laufen konnte. Dann erblickte sie Merrit, die auf dem Rückweg von Sudley’s Church war. Schmutzig und blutverschmiert stolperte sie unter dem Gewicht der Feldflaschen dahin. Ab und zu bückte sie sich, um Verwundeten zu helfen oder jemanden anzusehen, um zu erkunden, ob er bereits tot war.
    Hester wies den Mann an, sich nicht zu bewegen, unter keinen Umständen, dann raffte sie ihre Röcke zusammen und rannte und stolperte Merrit über die buckligen Grassoden entgegen. Noch im Laufen rief sie ihr zu.
    Merrit drehte sich um, ihr Gesicht war von Angst und Erschöpfung verzerrt, dann erkannte sie Hester und lief auf sie zu, indem sie springend die struppigen Grasbüschel überwand.
    Hester setzte sie hastig über den Mann mit der Bauchverletzung ins Bild, klärte sie über die Notwendigkeit auf, irgendeine Transportmöglichkeit zu finden, um ihn und so viele andere Verwundete wie nur möglich zur Kirche zu befördern.
    »Ja«, erwiderte Merrit und schluckte schwer. »Ja… ich werde…« Sie verstummte. Die Panik in ihren Augen war kaum zu verbergen. All die tapferen Worte waren in einer Situation wie dieser absurd, Belanglosigkeiten aus einem anderen Leben. Auf diese Realität hätte sie nichts vorbereiten können. Merrit wollte, dass Hester erfuhr, was sie fühlte, und begriff, wie sehr sie sich verändert hatte. Hester lächelte sie an, es war ein kläglicher Versuch. Sie hatten keine Zeit, um zu erklären, was sie empfanden. Die Verwundeten kamen zuerst, weitere Prioritäten gab es erst einmal nicht.
    »Geh und hole Hilfe«, wiederholte Hester.
    Merrit ließ die meisten Feldflaschen zu Boden fallen, straffte ihre Schultern und drehte sich um, um den Auftrag zu erfüllen. Sie stolperte über den unebenen Boden, rappelte sich wieder auf und eilte weiter.
    Hester sammelte die Flaschen auf und machte sich auf den Weg, näher an die Schlacht heran. Sie versorgte weitere Verwundete und stieß auf immer mehr Tote. Jenseits des Bull Run wurde ununterbrochen geschossen, und die Luft war erfüllt von Staub und Pulverqualm. Die sengende Hitze trocknete den Mund aus und brannte auf der Haut.
    Schließlich ging Hester zur Kirche zurück. Es war ein kleines Gebäude, von Bauernhäusern umgeben und etwa eine halbe Meile vom Bull Run entfernt, und es war zum Hauptsammelpunkt der Verwundeten der Union geworden.
    Die Stühle waren aus der Kirche entfernt und davor abgestellt worden. Viele Männer lehnten an den Mauern, lagen unter Bäumen oder unter provisorischen Sonnenschutzdächern. Andere wiederum lagen in der prallen Sonne. Einige hatten keine Verletzungen, litten aber unter der Hitze und dem Flüssigkeitsverlust.
    Überall stöhnten Männer und riefen um Hilfe. Einige nur leicht Verwundete versuchten den zwei oder drei Ordonnanzen zu helfen, Ordnung in das Chaos zu bringen.
    Als Hester sich der Tür näherte, kam der Chirurg mit blutverschmiertem Kittel heraus und ließ einen amputierten Arm auf den Haufen anderer Gliedmaßen an der Wand fallen. Ohne sie zu bemerken, drehte er sich um und ging wieder hinein.
    Ein Ambulanzwagen holperte über den zerklüfteten Boden und brachte weitere Verwundete.
    Hester stieß die hölzerne Tür auf. Im Inneren der Kirche hatte man den Boden mit den Decken belegt, die erübrigt werden konnten. Von einem nahe gelegenen Feld hatte man Heu geholt und auf dem Boden verteilt, damit die Männer darauf liegen konnten. Mehrere Eimer Wasser standen umher, einige mit frischem Wasser, andere rot vor Blut.
    In der Mitte des Raumes stand der Operationstisch, daneben lagen auf einem Brett, das man auf zwei Stühle gelegt hatte, die Instrumente. Blutpfützen machten den Fußboden glitschig, und getrocknetes Blut zeichnete sich dunkel vom Boden ab. In der Hitze

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