Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
ihr Tränen der Hilflosigkeit in die Augen. War sie sich wirklich sicher, dass es besser wäre, sie würden einwandfrei funktionieren und diejenigen töten, die ihnen vor den Lauf kamen? Gewehre wurden zum Töten, Verstümmeln, Verkrüppeln, Entstellen und zum Verursachen von Schmerz und Furcht gebaut. Das war ihr Zweck.
    Das Feuergefecht vor ihr war heftig. Geschosse und Kartätschen, die aus Kanonen abgefeuert wurden, donnerten durch die Luft. Vor dem Hintergrund der verdorrten Grasflächen konnte sie deutlich die blaugrauen Linien der Soldaten sehen, die halb von Staub und Pulverschwaden verdeckt wurden. Schlachtstandarten ragten hoch über sie hinaus und hingen schlaff in der heißen Luft. Es musste bereits nach drei Uhr sein. Sudley war nur ein paar Hundert Meter entfernt.
    Sie kam an weiteren zerschmetterten Karren und Wagen vorbei und an weiteren Toten. Die Erde war rot vom Blut. Ein Mann lag halb gegen eine Munitionskiste gelehnt, sein Unterleib war aufgerissen, und seine Eingeweide quollen über seine blutenden Oberschenkel. Unglaublich, aber seine Augen waren offen, und er lebte.
    Dies war ihr am meisten verhasst; schlimmer als die Toten waren diejenigen, die das Grauen und die Qualen noch erlebten, die ihr eigenes Blut sahen und wussten, dass sie sterben würden, und machtlos waren, etwas dagegen zu unternehmen.
    Sie beugte sich zu ihm hinunter.
    »Sie können nichts für mich tun, Ma’am«, hauchte er durch seine trockenen Lippen. »Weiter vorn liegen genügend, denen…«
    »Zuerst sind Sie an der Reihe«, sagte sie sanft. Dann senkte sie den Blick auf seine schreckliche Wunde und die Hände, die sich darüber verkrampft hatten.
    Vielleicht konnte sie doch noch etwas tun? Nur das äußere Fleisch schien aufgerissen zu sein, die Organe selbst schienen nicht verletzt zu sein. Vor lauter Blut und Schmutz konnte sie kaum etwas sehen.
    Sie legte die Feldflaschen zur Seite und griff nach der ersten Bandagenrolle. Dann träufelte sie Wasser und ein wenig Wein auf einen Stoffknäuel, löste seine verkrampften Hände und begann den Schmutz vom bleichen Gewebe seiner Eingeweide zu waschen. Im Geiste versuchte sie, die Verletzung von dem Mann zu trennen, der ihr Tun beobachtete. Sie versuchte, sich auf kleine Details zu konzentrieren, auf die kleinen Erdkrümel, die Sandkörner und die Blutstropfen, darauf, alles sauber zu bekommen und zu versuchen, die Eingeweide wieder in seine Körperhöhle zu schieben.
    Eine Weile war sie sich nicht einmal der Hitze bewusst, die auf ihrem Körper brannte, des Schweißes, der über ihr Gesicht rann.
    Sie arbeitete so schnell wie möglich. Zeit war knapp. Er musste von hier bis Sudley Church und von dort nach Fairfax oder Alexandria transportiert werden. Sie weigerte sich, daran zu denken, dass sie scheitern könnte, dass er hier in der Hitze und unter dem Donner der Gewehrsalven sterben könnte, bevor sie fertig war. Sie weigerte sich, an die anderen Männer zu denken, die nur einen Steinwurf von hier entfernt lagen und ebenso Schmerzen litten, vielleicht sogar starben, während sie hier kniete, einfach deshalb, weil niemand hier war, der ihnen half. Sie konnte nur eine Sache tun, wenn sie sie gut genug erledigen wollte, um erfolgreich zu sein.
    Sie war fast fertig. Noch einen Augenblick.
    Das Geschützfeuer in der Ferne wurde heftiger. Sie bemerkte, dass Leute an ihr vorbeiliefen, hörte Stimmen und Schreie und das Rumpeln eines Wagens, der über die trockenen Erdfurchen holperte.
    Sie sah zu dem Gesicht des Mannes auf, krank vor Angst, dass er bereits tot sein könnte und sie blindlings weitergearbeitet hatte, weil sie sich weigerte, die Wahrheit anzuerkennen. Einen Moment lang war der Schweiß auf ihrer Haut kalt, dann wieder heiß. Er starrte sie an. Seine Augen waren im Schock in ihre Höhlen zurückgewichen, und der Schweiß auf seinen Wangen war getrocknet, aber er war eindeutig am Leben.
    Sie lächelte ihn an und legte ein sauberes Tuch über die schreckliche Wunde. Sie hatte nichts bei sich, womit sie sie nähen hätte können. Sie griff nach der Feldflasche, befeuchtete ein frisches Tuch und hielt es ihm an die Lippen. Dann wusch sie ihm behutsam das Gesicht. Dies diente keinem bestimmtem Zweck, außer ihm Erleichterung zu verschaffen und vielleicht ein wenig Würde zu verleihen, einen Hoffnungsschimmer zu geben und ihm zu versichern, dass er noch nicht aufgegeben worden war und seine Gefühle wichtig und etwas Besonderes waren.
    »Jetzt müssen wir jemanden finden,

Weitere Kostenlose Bücher