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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Monk, all das, wofür sie nun kämpfte, die Menschen, die ihr Leben bereicherten, die Vergangenheit durch Vergessen geheilt hätte.
    Aber der Staub, das Blut, der Geruch von Zeltplanen, Wein und Essig, das Wissen um den Schmerz hatte alles mit einer Lebendigkeit zurückgebracht, die sie erschauern ließ und sie verwirrte. Sie war vom Entsetzen mehr erfüllt als diejenigen, für die alles neu war, wie Merrit, die kaum erahnen konnte, was auf sie zukommen würde. Hester rann der Schweiß über den Körper und erkaltete auf ihrer Haut trotz der drückend heißen und stickigen Luft.
    Sie hatte panische Angst. Sie konnte es nicht ertragen, nicht noch ein Mal. Sie hatte ihren Anteil erlebt, hatte schon zu viel mit ansehen müssen!
    Sie fand das Geschoss und zog es heraus; ihm folgte ein Schwall von Blut. Einen Moment lang erstarrte sie. Sie konnte es nicht ertragen, noch jemanden sterben zu sehen! Das hier war nicht ihr Krieg. Dies war alles kolossal dumm, ein grauenhafter Wahnsinn, der Dunkelheit der Hölle entsprungen. Ihm musste Einhalt geboten werden. Sie sollte hinausrennen, jetzt sofort, und die Männer anschreien, bis sie ihre Waffen niederlegten und in ihren Gesichtern die Gleichheit erkannten, nicht die Unterschiede, und bis sie in den Augen des Feindes das eigene Spiegelbild sahen und sich selbst im anderen entdeckten.
    Doch während ihre Gedanken rasten, nähten ihre Finger die Wunde zu, griffen nach Bandagen, Tupfern, verbanden die Wunde und prüften, ob der Verband auch nicht zu eng saß. Dann rief sie nach ein wenig mit Wasser vermischtem Wein. Sie hörte, wie sie den Mann tröstete, ihm erklärte, was er tun und auf welche Weise er seine Wunde versorgen sollte, dass er sich einen neuen Verband anlegen lassen sollte, wenn er Alexandria oder wohin er auch immer transportiert werden würde, erreichte.
    Sie vernahm seine Antwort, und seine Stimme war jetzt ruhiger und fester als zuvor. Sie beobachtete, wie er sich auf die Füße mühte, wie er von einer Ordonnanz gestützt davonstakste und sich noch einmal lächelnd umdrehte, bevor er das Zelt verließ.
    Weitere Verwundete wurden hereingebracht. Hester half, Bandagen zu holen, sie aufzurollen, Instrumente und Flaschen zu halten, schleppte Gegenstände, stützte Männer und sprach mit ihnen, um ihre Furcht oder ihren Schmerz zu lindern.
    Dann trafen Neuigkeiten von der Schlacht ein. Vieles davon sagte Hester und Merrit nichts, da sie die Gegend nicht kannten, ob es aber gute oder schlechte Nachrichten waren, war leicht an den Gesichtern derjenigen abzulesen, die sie überbrachten.
    Kurz nach elf Uhr kam der Arzt herein, sein Gesicht war grau und sein Uniformhemd blutverschmiert. Als er Hester sah, blieb er abrupt stehen.
    »Was, zum Teufel, treiben Sie da?«, fuhr er sie an.
    Sie trat von dem Mann zurück, dessen Wunde sie eben erst fertig verbunden hatte. Dann wandte sie sich an den Arzt und bemerkte die Angst in seinen Augen. Er war nicht älter als dreißig Jahre, und sie wusste, dass nichts in seinem Leben ihn auf das hier vorbereitet hatte.
    »Ich bin Krankenschwester«, entgegnete sie gelassen.
    »Ich habe schon einmal einen Krieg miterlebt.«
    »Schusswunden… Verletzungen?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Auf dem Matthews Hill sind weitere Rebellentruppen eingetroffen«, sagte er, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. »Es werden noch viele Verwundete nachkommen. Wir müssen zusehen, dass wir diejenigen, die bereits versorgt sind, hier herausbekommen.«
    Sie nickte.
    Er wusste nichts weiter zu sagen. Er scheiterte an Umständen, die jenseits seiner Vorstellungskraft und seiner Fähigkeiten lagen. Er war für jede Hilfe dankbar, sogar für die einer Frau.
    Eine Stunde später berichtete ihnen ein Mann mit einem zerschmetterten Arm, der trotz seiner Qualen noch lächelte, dass Sherman den Bull Run überquert hatte und die Rebellen sich auf den Henry Hill zurückzogen.
    Daraufhin stießen die anderen verletzten Männer durch zusammengebissene Zähne ein Jubelgeschrei aus.
    Hester warf einen kurzen Blick auf Merrit; ihr Kleid war verknittert und blutverschmiert, aber sie lächelte. Einen Moment lang glänzten die Augen des Mädchens, dann wandte sie sich wieder um und reichte dem Arzt weitere Bandagen, der sich kaum die Zeit nahm, aufzusehen, als er die Nachricht hörte.
    Während der nächsten Stunde wurden weniger Verletzte gebracht. Der Arzt entspannte sich ein wenig, setzte sich ein Weilchen und trank einen Schluck Wasser. Er lächelte Merrit kläglich an,

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