In den Fängen der Macht
ihm die Umstände erläutern, und wenn er einwilligt, den Fall zu übernehmen, kann er zu Ihnen kommen, um die nötigen Arrangements zu treffen.«
»Ich bin Ihnen ja so dankbar!« Judiths Gesicht leuchtete vor Erleichterung, dann legte sich plötzlich ein Schatten der Scham darüber. »Sie haben bereits so viel für mich getan! Sie müssen erschöpft sein, und ich sitze einen halben Abend lang hier und belästige Sie mit weiteren Problemen und hoffe auf Ihre Hilfe, wo Sie doch nur noch ein Schatten Ihrer selbst sind und sich nichts auf Erden so sehr wünschen, als endlich nach Hause und in Ihr Bett zu kommen. Es tut mir Leid!«
»Dazu besteht keinerlei Veranlassung.« Hester streckte eilig den Arm über den Tisch und berührte Judiths Hand.
»Wir haben Merrit ins Herz geschlossen und sind fast so empört wie Sie über das Unrecht, das geschehen könnte, müsste Breeland den Preis für sein Verbrechen nicht bezahlen. Hätten Sie uns nicht ohnehin gebeten, es hätte uns widerstrebt, unsere Aufgabe halb erfüllt aufzugeben.«
Judith erwiderte nichts. Sie war so von ihren Gefühlen gefangen genommen, dass sie sich kaum mehr unter Kontrolle hatte.
»Ich danke Ihnen«, sagte Casbolt an ihrer Stelle. »Es war ein glücklicher Tag für uns, als Sie unsere Wege kreuzten. Ohne Sie wäre dies alles zu einer vollkommenen Tragödie geworden.« Er wandte sich an Trace. »Ich habe es bis jetzt versäumt, auch Ihnen für Ihre Mitarbeit zu danken, Sir. Ihr Wissen und Ihr Wille, Ihre Zeit zu opfern und das Risiko auf sich zu nehmen, Ihre Sicherheit für die Gerechtigkeit und für Merrit aufs Spiel zu setzen, das ist eine beachtliche Barmherzigkeit, die Sie als wahren Gentleman auszeichnet. Wir stehen hoch in Ihrer Schuld, Sir.«
»Zwischen Freunden gibt es keine Schuld«, erwiderte Trace. Er sprach mit Casbolt, aber Monk war sich ziemlich sicher, dass seine Worte für Judith bestimmt waren.
Es war nicht eine Aufgabe, auf die Monk sich gefreut hätte. Er hatte gehofft, Judith Alberton würde über einen Anwalt verfügen, dem ihr uneingeschränktes Vertrauen galt, so dass sie sich nicht weiter hätte umsehen müssen, aber er hatte dennoch immer mit der Möglichkeit gerechnet, sich am Ende an Rathbone wenden zu müssen. Dies war ein auswegloser Fall.
Trotzdem spürte er, während er und Hester auf dem Heimweg waren, wie sich bei der Aussicht, am folgenden Tag zur Vere Street fahren und mit Oliver Rathbone sprechen zu müssen, schlimmer noch, ihn um einen Gefallen bitten zu müssen, eine tiefe Depression über ihn legte.
Ihre Beziehung zueinander hatte eine lange, von Spannungen geprägte Geschichte. Rathbone war von Geburt an alles, was Monk nicht war. Er war privilegiert, lebte in finanziell gesicherten Verhältnissen, er hatte eine exzellente Erziehung genossen, war Mitglied der gehobenen Gesellschaft und bewegte sich völlig mühelos als Gentleman. Monk hingegen war der Sohn eines Fischers aus Northumberland, ein Selfmademan, der seine Bildung bezog, woher er nur konnte, und der seine Lage ständig durch Einfallsreichtum und harte Arbeit zu verbessern suchte. Vor unkritischen Augen konnte er als Gentleman bestehen. Er besaß keinen Deut weniger Eleganz als Rathbone, aber sie kostete ihn Mühe. Er hatte gelernt, wie er sich zu benehmen hatte, imitierte Herren, die er bewunderte, und doch machte er manches Mal Fehler und erinnerte sich ihrer hinterher mit brennender Verlegenheit.
Rathbone hatte sich niemals anmerken lassen, dass er Monk überlegen war; das zu tun, wäre auch völlig überflüssig gewesen. Monk begriff das erst jetzt, in seinen Vierzigern.
Eigentlich war alles nur ein natürlicher Verschleiß zwischen zwei Männern, die über dieselbe Intelligenz und denselben Ehrgeiz verfügten, über eine rasche Auffassungs und Formulierungsgabe und die dieselbe Leidenschaft für Gerechtigkeit hegten. Was aber wirklich wichtig war und was bei jedem von ihnen stets im Vordergrund stand, war, dass sie beide dieselbe Frau liebten. Und diese Frau hatte Monk gewählt.
Nun musste Monk zu ihm gehen und ihn um Hilfe bitten, ihm einen Fall anbieten, der sich gewiss als kompliziert und höchst gefühlsbetont herausstellen konnte und der aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einer befriedigenden Lösung führen würde. Doch es war eine Art Kompliment, dass er Rathbone für den einzigen Mann hielt, der solch eine Aufgabe übernehmen wollte und konnte.
Hester bestand darauf, Monk zu begleiten.
Sie kamen unangemeldet, woraufhin ihnen
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