In den Fängen der Macht
ein Diener entschuldigend mitteilte, Sir Oliver befände sich im Gericht. Wenn die Angelegenheit jedoch so wichtig sei, wie sie andeuteten, und in Anbetracht ihrer langjährigen Verbindung, könnte man eine Nachricht zum Old Bailey schicken, wo Sir Oliver sie eventuell während der Mittagspause empfangen könnte.
So geschah es dann auch. Die drei setzen sich in einem überfüllten Gasthaus zusammen, beugten sich über einen kleinen Tisch und unterhielten sich so leise wie möglich, jedoch laut genug, um sich über das Gewirr von Stimmen hinweg, die allesamt dasselbe versuchten, verständlich zu machen.
Rathbone begrüßte Hester, dann lauschte er aufmerksam Monk, der ihm die ganze Geschichte darlegte und sich darauf konzentrierte, den Fall möglichst logisch zu schildern. Monk war selbst überrascht, wie unwohl er sich fühlte.
»Ich nehme an, Sie haben von den Morden im Hof des Lagerhauses in der Tooley Street gelesen?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Rathbone zurückhaltend. »Ganz England las darüber. Äußerst scheußliche Sache. In einer der heutigen Morgenzeitungen stand zu lesen, Lyman Breeland sei nach London zurückgebracht worden, um vor Gericht gestellt zu werden, ebenso wie Albertons Tochter. Aber das ist vermutlich blanker Unsinn.«
Er schob das Gemüse langsam auf seinem Teller herum.
»Sicher wurde jemand gesehen, der den beiden ähnelt. Warum, um Gottes willen, sollte er sein Anliegen und sein Land im Stich lassen, wenn er gerade jetzt dort gebraucht wird, und weshalb sollte er hierher zurückkommen, wo er doch mit großer Wahrscheinlichkeit am Galgen endet? Ich halte es für vorstellbar, dass Präsident Lincoln auf diplomatischer Ebene eine Einigung mit England anstreben würde, wegen Breelands Bedeutung für die Sache der Union, aber ich kann mir keine Möglichkeit vorstellen, wie sich das mit der öffentlichen Meinung hier in unserem Land vereinbaren ließe, vom Gesetz gar nicht zu reden.« Er zog die Stirn in Falten. »Warum fragen Sie? Ich nehme an, Sie haben irgendein Interesse an dem Fall, andernfalls hätten Sie das Thema nicht aufgebracht.«
»Wir waren es, die ihn zurückbrachten«, erwiderte Monk, während er Rathbones langes Patriziergesicht mit den hohen Wangenknochen und dem sensiblen Mund betrachtete. Er sah, wie sich plötzliche Überraschung darauf abzeichnete. »Mit vorgehaltener Waffe allerdings«, fügte er hinzu. »Aber er war nicht so unwillig, wie man annehmen hätte sollen.«
»Tatsächlich?« Rathbones Augenbrauen hoben sich. »Er behauptet, unschuldig zu sein und von Albertons Tod nichts gewusst zu haben.« Monk schenkte Rathbones Gesichtsausdruck keine weitere Beachtung. »Ich glaube es zwar nicht, aber es ist nicht vollkommen ausgeschlossen. Er sagt, Alberton habe seine Meinung geändert und ihm die Waffen verkaufen wollen, und dass er ihm eine entsprechende Nachricht habe zukommen lassen. Der Nachtportier in Breelands Unterkunft brachte ihm in jener Nacht tatsächlich eine Depesche, nach deren Empfang Breeland seine Habseligkeiten packte und kurz darauf mit Merrit Alberton das Haus verließ.«
»Die Depesche hätte alles Mögliche beinhalten können«, räsonierte Rathbone. »Aber fahren Sie fort.«
»Er sagte, ein Mann namens Shearer, ein Unterhändler Albertons, hätte die gesamte Ladung, Waffen und Munition –«
»Wie viele?«, unterbrach Rathbone.
»Sechstausend Gewehre und eine halbe Million Munitionskugeln«, erwiderte Monk. Rathbones Augen wurden groß.
»Ganz schönes Gewicht. Nichts, was man mit einem Schubkarren abtransportieren könnte. Wissen Sie, wie viel das ungefähr ausmacht? Eine Wagenladung, zwei oder gar drei?«
»Mindestens drei große Wagen«, antwortete Monk. »Er sagt, Shearer hätte sie ihm an den Bahnhof geliefert, wo er ihm den gesamten Betrag in bar ausbezahlt hätte, woraufhin Shearer seiner Wege gegangen sei. Breeland behauptet, Alberton überhaupt nicht gesehen zu haben und ihm ganz gewiss nichts angetan zu haben.«
»Und was sagt Merrit Alberton dazu?«, fragte Rathbone mit einem Blick auf Hester.
»Dasselbe«, antwortete sie. »Sie sagt, sie seien mit dem Zug nach Liverpool gefahren, von dort aus mit dem Schiff, das noch in Queensland in Irland anlegte. Nach der Ankunft in New York seien sie per Eisenbahn nach Washington gereist. Wir legten den gleichen Weg zurück. Sie beschrieb ihn ziemlich genau.«
Rathbone dankte ihr. Es war unmöglich, zu sagen, ob er in ihrem Gesicht ihre Gefühle gelesen hatte.
»Ich hatte gedacht,
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