In den Fängen der Macht
die Polizei hätte die Waffenladung bis zu einem Prahm, der flussabwärts fuhr, verfolgt«, sagte er nachdenklich. »Habe ich da irgendetwas falsch verstanden?«
»Nein. Das ist tatsächlich so«, bestätigte Monk. »Wir konnten den Weg des Prahms bis Greenwich verfolgen, und wir nehmen an, dass dort ein seegängiges Schiff wartete, auf das die Gewehre verladen wurden.«
»Dann lügen sie also beide?«
»Muss wohl so sein. Außer, es gibt noch eine andere Erklärung, auf die wir bis jetzt nicht gestoßen sind.«
»Und was erwarten Sie nun von mir?« Obwohl bereits ein trauriger Schatten um seine Augen spielte, lag ein Lächeln auf seinen Lippen, vielleicht in Erinnerung an andere Schlachten, die sie miteinander ausgefochten hatten und in denen sie sowohl Niederlagen als auch Siege aneinander geschweißt hatten.
Hester sog pfeifend den Atem ein, überließ die Antwort jedoch Monk. »Wir möchten, dass Sie Merrit Alberton verteidigen«, antwortete er. »Sie schwört, ihren Vater nicht ermordet zu haben, und ich glaube ihr.«
Hester beugte sich mit eindringlicher Miene nach vorn.
»Aber sei es, wie es sei, sie ist erst sechzehn Jahre alt und steht vollkommen unter Breelands Einfluss. Sie glaubt leidenschaftlich an die Sache der Union und hält ihn für einen Helden. Sie hat sämtliche Ideale von Tapferkeit und Edelmut, die ein junges Mädchen nur haben kann.« Rathbones dunkle Augen wurden groß. »Die Union der Vereinigten Staaten? Warum, um Himmel willen? Welche Bedeutung soll das für ein junges englisches Mädchen haben?«
»Nein, es ist nicht die Union, ihr geht es mehr um die Sklaverei!«
Ihr eigenes glühendes Bestreben, ihr tiefgründiger Hass auf alle Übel der Herrschaft, auf Grausamkeit und Verweigerung der Menschenrechte, brannten in ihrem Gesicht. Wenn Merrit Alberton nur einen Teil von dem empfand, was sie in sich spürte, dann wäre es schmerzlich einfach, zu glauben, dass sie einem Mann, dessen Kreuzzug der Freiheit gewidmet war, bis ans Ende der Welt gefolgt wäre und dabei wenig an den Preis gedacht hätte, den sie dafür zu bezahlen haben würde.
Rathbone seufzte. In einem Augenblick tiefsten Verständnisses wusste Monk genau, was er dachte, und als Rathbone sprach, wurde er darin bestätigt.
»Das mag ihr bei einer britischen Jury sehr wohl Sympathien einbringen, die der Sklaverei ebenso wenig Liebe entgegenbringt wie ein Unionist, aber vor den Augen des Gesetzes wird es nichts entschuldigen. Ist sie mit diesem Breeland verheiratet?«
»Nein.«
Er seufzte leicht. »Na, ich nehme an, das ist wenigstens etwas. Und sie ist sechzehn Jahre alt?«
»Ja. Aber sie wird nicht gegen ihn aussagen.«
»Das habe ich angenommen. Auch wenn sie es täte, würde es uns nicht besonders helfen. Treue ist eine sehr attraktive Qualität. Treulosigkeit ist es nicht, selbst wenn es gute Gründe dafür gibt. Ich schwöre Ihnen, Monk, bisweilen denke ich, Sie verbringen Ihre Zeit damit, immer kompliziertere Fälle für mich aufzutreiben, bis Sie wieder einen haben, der mich in völlige Konfusion stürzt. Dieses Mal haben Sie sich wahrlich selbst übertroffen. Ich weiß kaum, wo ich beginnen soll.« Aber der Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte, dass seine Gedanken bereits rasten.
Monk spürte nun zum ersten Mal seit langer Zeit, dass sich seine Stimmung etwas hob. Wenn Rathbone den Fall als persönliche Herausforderung ansah, würde er ihn sicherlich übernehmen. Nichts würde es ihm je gestatten, vor den Augen Hesters einen Rückzieher zu machen. In seinen Augen blitzten Humor, Selbstironie und Selbsterkenntnis, als ob er Monks Gedanken so gut wie seine eignen kannte und sie akzeptierte. Wenn es einen Augenblick gab, in dem Schmerz und neuerlich empfundene Einsamkeit Rathbone belasteten, dann gelang es ihm, ihn schnell zu überwinden.
Er begann die beiden über jedes Detail auszufragen, das ihm in den Sinn kam. Er stellte Fragen über Casbolt, Judith Alberton, Philo Trace und über die gesamte Reise nach Amerika und was sie dort getan hatten. Insbesondere interessierte er sich für Monks Fahrt die Themse hinunter, die er in Begleitung Lanyons unternommen hatte.
Er wirkte betrübt, und einen Augenblick verlor er regelrecht die Fassung, als Monk vom Auffinden der Leiche Albertons erzählte und davon, dass er beinahe auf die Uhr getreten wäre.
Von der Schlacht am Bull Run erzählte Monk wenig. Dieses Grauen war etwas, wofür er keine Worte fand. Die wenigen Worte, die ihm einfielen, klangen gestelzt, und
Weitere Kostenlose Bücher