In den Fängen der Macht
seine Gefühle waren zu aufgewühlt, um sie hier in diesem lärmerfüllten, freundlichen und friedlichen Gasthaus mit jemandem zu teilen. Außerdem war er selbst nicht bereit, daran zu denken. Es war zu eng mit seiner Liebe zu Hester und mit einem sonderbar stechenden Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit verbunden, sich je der Schönheit würdig zu erweisen, die er in ihr gesehen hatte. Außerdem war dies das Letzte, was er Rathbone hätte anvertrauen wollen. Gerade diesem Mann gegenüber wäre das äußerst grausam gewesen.
Hastig fuhr er fort zu berichten, wie sie Breeland gefunden hatten und wie er und Philo Trace ihn auf dem Weg nach Richmond, Charleston und bis nach Hause abwechselnd bewacht hatten.
»Verstehe«, murmelte Rathbone, als Monk seinen Bericht beendet hatte, wobei Hester nur gelegentlich einige Worte hinzugefügt hatte. »Dann dürfen Sie Mrs. Alberton mitteilen, dass ich sie aufsuchen werde und sie mich an ihren Solicitor verweisen kann, um mir von ihm Instruktionen erteilen zu lassen. Ich habe offenbar wieder einmal eine große Schlacht vor mir.«
Monk überlegte, ob er ihm danken sollte, zögerte, und er unterließ es dann. Rathbone hatte den Fall nicht wegen ihm persönlich übernommen… für Hester vielleicht… möglicherweise wegen der Herausforderung, wegen der Gerechtigkeit, aber niemals wegen Monk, höchstens um unter Beweis zu stellen, dass er sich der Aufgabe gewachsen fühlte.
»Gut!«, sagte Monk. »Sehr gut.«
7
In ziemlicher Eile kehrte Rathbone in den Gerichtssaal zurück. Sein Mitarbeiter war bestens befähigt, um mit der gegenwärtigen Sache allein zurechtzukommen. Es war ein Routinefall, es galt lediglich, Beweise aufzuführen, von denen die meisten unanfechtbar waren. Dies kam ihm sehr gelegen, da sich seine Gedanken während des Nachmittags weniger mit der Sache Regina versus Wollcraft beschäftigten als vielmehr mit der Sache Regina versus Breeland und Alberton, die er so überstürzt akzeptiert hatte.
Er fühlte sich nicht nur mit dem Fall an sich nicht wohl, sondern auch mit den Gründen, die ihn veranlasst hatten, ihn zu übernehmen. Er hatte in den Zeitungen darüber gelesen, obwohl es ihn nicht sonderlich interessiert hatte, weil ihm die Sache klar auf der Hand zu liegen schien. Aber wie den meisten Zeitungsredakteuren, tat auch ihm Judith Alberton zutiefst Leid. Mitgefühl war eine edle Emotion, aber es war keine gute Basis, um vor Gericht zu ziehen. Geschworene mochten sich von Gefühlsregungen beherrschen lassen, Richter durften das nicht. Und die öffentliche Meinung war sehr unbarmherzig gegen Merrit Alberton. Es sah so aus, als hätte sie sich mit einem Ausländer verschworen, um ihren eigenen Vater zu ermorden. Dies war ein Affront gegen jegliche Formen des Anstandes, gegen Familienloyalität, Gehorsam, Familientradition und Patriotismus. Würde sich jede Tochter die Freiheit nehmen, sich ihrem Vater auf derartig gewalttätige und abstoßende Art zu widersetzen, dann wäre die Gesellschaft an sich bedroht.
Rathbone entdeckte, dass ihn diese Überlegungen irritierten und dass sein Respekt vor der bürgerlichen Gesellschaft, der tief in den Wurzeln seines Lebens verankert war – wenigstens oberflächlich –, ein wenig brüchig wurde. Er verachtete Voreingenommenheit, die nichts weiter war als eine Tradition, die sich in starren Köpfen festgesetzt hatte und zur Gewohnheit geworden war. Er hatte den Fall zum Teil auch deswegen übernommen, weil er die Herausforderung liebte. Es war sowohl aufregend als auch gefährlich, gefordert zu werden. Was, wenn er der Sache nicht gewachsen wäre? Was, wenn es ihm nicht gelänge, Gerechtigkeit zu gewährleisten und ein unschuldiger Mann oder eine unschuldige Frau gehängt wurde, weil er nicht klug genug, tapfer genug, einfallsreich, wortgewandt oder überzeugend gewesen war?
Oder wenn ein Schuldiger auf freien Fuß gesetzt wurde? Um vielleicht erneut zu töten oder um von seinem Verbrechen zu profitieren, was anderen beweisen würde, dass das Gesetz nicht fähig war, die Opfer zu schützen?
Aber auch ohne all diese Gründe wusste er, dass er den Fall übernommen hätte, weil Hester ein Interesse daran hatte. Sie hatte es zwar nicht gesagt, aber er hatte es in ihrem Gesicht gelesen, dass sie sich um Merrit sorgte, dass sie sich vielleicht selbst in dem Mädchen wiedersah, wie sie mit sechzehn gewesen war: eigensinnig, idealistisch und zu verliebt, um schlecht von dem Mann zu denken, in den sie so großes Vertrauen
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