In den Faengen der Nacht
fand sie merkwürdigerweise amüsant. Normalerweise ärgerte sie niemanden, den sie nicht kannte. Doch er hatte etwas an sich, das geradezu danach schrie, dass sie stichelte. Es musste dieselbe selbstmörderische Neigung sein, die einen Menschen zum Sprung veranlasste, wenn er am Rand einer Klippe stand.
Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass es ihr gefiel, wenn sein Gesicht weicher wurde, sobald er das lustig fand, was sie sagte. Es war sehr betörend, und sie fragte sich, ob er schon immer so streng und ernst gewesen war wie heute.
Als sie sich dem Happy Hunting Ground näherten, fuhr Ravyn langsamer. Er hatte schon immer diesen ironisch gemeinten Namen geliebt, den die alteingesessene Apolliten/Daimon-Bar trug, die vor allem von College-Studenten besucht wurde. Diese Leute dachten, es wäre eine Anspielung auf die Singleszene. Sie wussten nicht, dass der Schatten des schwarzen Drachen, der vor einer gelben Sonne flog, das Signet des Clubs, in Wirklichkeit ein Willkommenszeichen der Apolliten an ihre Daimon-Verwandten war, damit sie wussten, dass sie hier in Sicherheit waren. Ursprünglich war Cael hergeschickt worden, um den Club stillzulegen, aber die Apolliten hatten ihm schnell einen Handel angeboten: Sie würden sich anständig verhalten, solange er sie beschützte. Sie hatten Cael sogar eingeladen, in ihren Räumlichkeiten zu leben. Aus Gründen, die niemand kannte, hatte Cael das Angebot angenommen. Seitdem blieben die Daimons eher fern. Und die Jagd war eröffnet auf diejenigen Daimons, die nicht mitbekommen hatten, dass im Souterrain ein Dark-Hunter lebte, und die das Pech hatten, den Happy Hunting Ground zu durchstreifen, um sich einen jungen College-Studenten zu schnappen.
Ravyn hoffte, dass Cael noch lebte und nicht das Opfer seiner eigenen vertrauensseligen Dummheit geworden war.
»Ich kenne den Laden«, sagte Susan, als er hinter dem Haus parkte. »Mir gefallen die Skulpturen aus wiederverwendetem Müll, die sie vorn stehen haben. Ich habe mal versucht herauszufinden, wer die gemacht hat, aber das hat mir niemand gesagt. Die Leute, die hier arbeiten, sind alle ziemlich unfreundlich.«
Ravyn stellte das Auto ab, und Ottos Jaguar hielt neben ihnen. »Cael ist der Künstler. Und diese unfreundlichen Leute waren die Apolliten, denen dieser Laden gehört.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja.«
»Ist das nicht so, als würde man mit dem Essen spielen?«
»So ähnlich. Aber Cael gefällt es hier, und die Apolliten dulden ihn offenbar. Wer bin ich, dass ich das hinterfragen würde?«
Ravyn stieg aus und nahm sich eine Minute, um sich zurechtzufinden, während Otto zu ihnen trat. Aus dem Club ertönte laute rhythmische Musik, es waren die Black Eyed Peas mit »Don’t Phunk with My Heart«.
»Wieder durch die Hintertür?«, fragte Susan.
Ravyn schüttelte den Kopf. »Hast du das Schwert noch?«
»Und ob.«
»Halte es bereit. Wir gehen hier in die Höhle des Löwen, und ich habe keine Ahnung, was wir darin finden werden.« Er wechselte einen warnenden Blick mit Otto. »Sobald es irgendwie Ärger gibt, möchte ich, dass ihr beide zur Tür rennt und darauf achtet, dass Susan bei euch ist.«
Otto sah ihn mit einem bösartigen Blick an, der jedem Serienmörder Ehre gemacht hätte. »Nimm’s nicht persönlich, aber ich renne nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte Susan fest.
Leo hob die Hand. »Nur damit das klar ist: ich schon.«
Otto sah ihn finster an, und Leo rollte mit den Augen. »Das war nur ein Witz, Carvaletti. Du hast aber auch gar keinen Humor. Schaff dir mal welchen an!«
»Lieber nicht.«
Ravyn machte ein missbilligendes Geräusch. »Schön. Euer Tod ist eure eigene Angelegenheit.« Er steckte sein Messer hinten in den Hosenbund.
Sie gingen um das Haus herum zur Vorderseite. Das Gebäude war aus Backstein und über hundert Jahre alt. Es war hellblau gestrichen und hatte schwarze Fenster, die einst mit traditionellen Hippiesymbolen geschmückt gewesen waren – es sah aus wie eine Million andere Studentenkneipen. Jetzt, am frühen Abend, war es noch nicht besonders voll, die Leute schlenderten plaudernd umher.
Nebenan waren ein Café und eine Buchhandlung, Ravenna Third Place Books und Honey Bear Bakery, und dort war es viel voller. Anders als der Club waren diese Läden hell und einladend. Im Happy Hunting Ground hatte die Atmosphäre etwas Erotisches und Zwielichtiges, aber vielleicht zog gerade das die Stammgäste an.
Ravyn versuchte, nicht daran zu denken, wie viele Leute mit
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