In den Fesseln des Wikingers
darauf tönten seine scharfen Befehle über das Schiff, und die Männer begannen im Gleichtakt zu rudern. Gewandt wie ein Fisch bewegte sich das schmale Drachenboot durch die Wellen, ein frischer Morgenwind bauschte das Segel, und der rauhe Singsang der rudernden Männer mischte sich mit dem Rauschen und Zischen der Wellen.
Wie boshaft er war! Noch gestern Abend, als sie ihn schlafend betrachtete, hätte sie fast Mitleid mit ihm gehabt, doch jetzt spürte sie nichts als bebenden Zorn. Er ging mit ihr um wie mit einem Beutestück, das man nach Belieben herumstoßen konnte.
Hunger quälte sie, denn sie hatte seit dem Morgen des gestrigen Tages nichts mehr gegessen, und das eklige Stück Stockfisch war ihr längst aus der Hand geglitten. Bald jedoch spürte sie das Heben und Senken der Meereswellen, und ihr knurrender Magen verlangte nicht mehr nach Nahrung. Im Gegenteil – ihr wurde kreuzelend zumute, und nur die Tatsache, dass die Männer an den Ruderbänken bei jedem Zug zu ihr hinüberstarrten, hinderte sie daran, sich über die Reling zu beugen, um sich ins Meer zu erbrechen. Sie umklammerte die Kanten der Bank mit den Fingern und bemühte sich, zum Horizont zu starren, doch das Schlingern des Schiffes war dadurch nicht zu mildern. Bald war ihr alles vollkommen gleich – die rudernden Wikinger, ihre Gefangenschaft, der kühle Wind, der an ihrem Kleid riss, sogar Thores Bosheit, über die sie eben noch so wütend gewesen war. Zu allem Unglück hielt sich auch Thore meist am Heck des Bootes auf, nur hin und wieder lief er mit leichten Schritten gleich einem Seiltänzer durch das schlingernde Boot, um irgendwo zu helfen oder Anweisungen zu erteilen. Wenn er zurückkehrte, spürte sie seinen aufmerksamen Blick, und sie bemühte sich verbissen, ihn nicht anzusehen.
„Wir werden den Fluss befahren“, sagte er ihr ins Ohr und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Dort wird es weniger schwanken.“
Die Berührung war zu viel, Rodena schaffte es gerade noch, sich rasch zur Seite zu wenden und den Kopf über die Reling zu beugen. Eine Weile würgte sie, quälte sich fürchterlich, dann wurde es langsam besser, und sie sank erschöpft und beschämt wieder auf ihren Sitz.
Schön, dachte sie. Jetzt haben sie alle Grund, mich auszulachen. Aber schließlich bin ich kein Walross wie diese Burschen hier und auch nicht auf Schiffsplanken geboren.
Doch die Männer waren viel zu sehr damit beschäftigt, das Boot in die Flussmündung zu lenken, so dass niemand über sie lachte.
Tatsächlich wurde die Fahrt ruhiger, nachdem man die Mündung hinter sich gelassen hatte, auch ging es langsamer voran, denn die Männer mussten gegen den Strom anrudern. Rodena, die sich jetzt viel besser fühlte, begann die kräftigen Burschen zu bewundern, die mit eindrucksvoll anschwellenden Armmuskeln ihre Ruder im Gleichtakt führten, während sie sich mit den Beinen gegen die Spanten des Bootes stemmten. Auf Thores Anweisung hin wurden die ermüdeten Männer immer wieder durch andere ersetzt, die bisher ausruhen konnten, so dass sich die Fahrt des Drachenschiffes nicht verlangsamte.
Eine Weile zogen die Boote flussaufwärts, doch die undurchdringlich tiefen Wälder zu beiden Ufern schienen kein Ende nehmen zu wollen. Schließlich ließ sich Thore neben der Druidin nieder und begann, sie auszufragen.
„Wo sind die Dörfer? Die Klöster und Burgen?“
Sie zuckte die Schultern, denn sie war selbst niemals in dieser Gegend gewesen. Doch damit ließ er sich nicht abspeisen.
„Du wirst doch wissen, ob es weitere Klöster in der Gegend gibt.“
„Es gibt das Kloster des Heiligen Laurent – doch ich weiß nicht genau, wo es sich befindet.“
„Liegt es am Fluss?“
„Ich glaube schon.“
Er schnaubte zornig und starrte sie mit schmalen, grauen Augen an. „Und Dörfer?“
„Jenseits des Waldes liegen sie weit voneinander entfernt. Doch die Bauern sind arm und haben selbst nicht viel.“
„Burgen?“
„Die sind weit im Osten. Und es wäre besser, du würdest sie meiden.“
„Wer beherrscht dieses Land?“
Wie ahnungslos er war. Er wusste gar nichts, nicht einmal, welchen Gefahren er entgegenging, wenn er so einfach in ein fremdes Land einfiel.
„Alain Barbe-Torte, der Schiefbart, ist unser König. Hast du nie von ihm gehört?“
Er grinste abschätzig und machte eine verächtliche Handbewegung. „Alain Schiefbart. Von dem hörte ich nur, dass er sich mit Wilhelm, dem Herrn der Normandie herumgeschlagen
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