In den Fesseln des Wikingers
erschrocken zu wehren.
„Ich bin eine Druidin“, fauchte sie, als er nicht von ihr abließ. „Eine Priesterin!“
„Du gehörst mir“, murmelte er. „Ich schütze dich, und du teilst das Lager mit mir! So ist es Brauch bei uns.“
Sie stemmte die Fäuste mit aller Kraft gegen seine Brust. „Verstehst du nicht?“, zischte sie. „Nur eine Jungfrau kann Priesterin sein. Wenn du mich nimmst, wird die Göttin mich niemals wieder aufsuchen.“
Er hatte ihre Handgelenke gefasst, um ihre Arme zur Seite zu drücken – doch nun hielt er inne. „Was ist das für ein Blödsinn?“, knurrte er.
„Wenn du Weissagungen von mir willst, dann musst du mich unberührt lassen. So einfach ist das!“
Er glotzte sie einen Augenblick lang an, als könne er nicht glauben, was er da vor sich sah. Dann stieß er einen langen Fluch aus, der so verwickelt war, dass sie nur einen kleinen Teil davon verstand. Es hatte mit einem Hammer und glühenden Funken zu tun, auch ein Blitz, der über den schwarzen Himmel zuckte, spielte darin eine Rolle. Schließlich packte er sie am Arm, um sie wütend hinter sich her zu ziehen, fasste eine der umherliegenden Decken und breitete sie im Sand aus.
„Du wirst neben mir schlafen müssen“, sagte er mit verhaltener Wut. „Denn ich will nicht, dass meine Männer über mich reden. Aber ich schwöre dir: Wenn du nicht bald einen deiner Träume hast, werde ich von meinem Recht Gebrauch machen. Ich lasse mich nicht von einer Hexe zum Narren machen!“
2. Kapitel:
Auf Beutefahrt
Die Dämmerung war rasch gefallen, bald sah man nur noch einen matten Schein über dem Meer, der den Strand in ein diffuses, graues Licht tauchte. Wie hockende, schwarze Riesen erschienen die Felsen, und die drei Schiffe der Wikinger, die man auf den Strand gezogen hatte, schienen in schlafende Drachen verwandelt. Die Männer hatten noch eine Weile am Feuer gesessen und geschwatzt, dann suchten sich die müden Krieger einen Schlafplatz im Sand aus, rollten sich in ihre Mäntel ein, und bis auf die beiden Wächter schliefen alle tief und sorglos wie eine Herde grauer Walrosse.
Rodena tat kaum ein Auge zu in dieser Nacht, denn Thore hatte die Bosheit besessen, einen Riemen um ihr Handgelenk zu binden, den er an seinen Gürtel knüpfte, so dass sie nur auf dem Rücken oder ihm zugewendet auf der Seite liegen konnte. Lang ausgestreckt lag er neben ihr, scheinbar vollkommen entspannt, sie spürte die Wärme seines großen Körpers, hörte seine Atemzüge und dachte zitternd darüber nach, ob er nicht doch irgendwann in der Nacht über sie herfallen würde. Zwar hatte er sich bisher an sein Versprechen gehalten, aber völlig anders, als sie es sich erhofft hatte. Ganz offensichtlich musste man vorsichtig sein, wenn man auf das Wort eines Wikingers vertraute, denn die Kerle steckten voller Hinterlist.
Thore hatte sich im Schlaf auf die Seite gedreht, beim rötlichen Schein des verglimmenden Feuers konnte sie sehen, dass sein Kopf auf dem angewinkelten rechten Arm ruhte, das lockige, helle Haar fiel über die Stirn und verdeckte seine Augen. Schlief er tatsächlich so tief, wie es den Anschein hatte? Rodena betrachtete ihn aufmerksam, lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge, und plötzlich verspürte sie das irrwitzige Verlangen, das wirre Haar zurückzustreichen, um sein schlafendes Gesicht sehen zu können.
Du bist verrückt, dachte sie. Wenn er es bemerkt, wird er sonst was von mir denken. Vielleicht glaubt er, ich wolle ihn verhexen. Oder ein Liebesspiel mit ihm beginnen.
Doch die Versuchung war zu groß. Vorsichtig streckte sie den freien Arm aus, berührte sacht mit zwei Fingern das Haar und schob es ihm aus der Stirn. Seine Augen waren geschlossen – er schlief. Nachdenklich besah sie ihn. Seine Stirn war ein wenig gewölbt und hell, die Nase gerade, den blonden Bart trug er kurz geschnitten, so dass die breite Narbe deutlich zu sehen war. Sie begann seitlich an seinem Kinn, zog sich quer über die linke Wange und reichte ein Stück über den Bartwuchs hinaus bis dicht an das untere Augenlid heran. Er hatte damals viel Glück gehabt, leicht hätte er bei diesem Streich sein Auge verlieren können.
Seine Züge wirkten im Schlaf völlig anders. Alle Strenge war aus ihnen gewichen, er erschien ihr jetzt verletzlich und von einer seltsamen Trauer besessen. Sie musste daran denken, wie zornig er geworden war, als sie davon redete, dass ein Wikinger einen Kameraden um eines Weibes willen erschlug. Hatte er
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