In den Fesseln des Wikingers
sie in Ruhe“, sagte sie drohend.
Er drehte sich zu ihr um und schien überrascht, jedoch nicht ärgerlich. „Du hast Mitleid mit ihr? Nun, ihr Schicksal wird auch das deinige sein, wenn du nicht bald tust, was ich von dir verlange.“
„Ich werde es tun“, gab sie zurück. „Doch nur unter einer Bedingung.“
Er verzog das Gesicht, denn er ahnte, was sie im Schilde führte. Weiber hielten doch immer zusammen.
„Ich werde dir die Zukunft weissagen, wenn du mir dieses Mädchen zur Dienerin überlässt. Sie soll nur für mich da sein, keiner der Männer darf sie berühren.“
„Und wie kommt es, dass du jetzt doch auf einmal weissagen kannst?“, fragte er lauernd. „Sagtest du nicht, die Bilder kämen ungefragt über dich, ohne dass du es beeinflussen könntest?“
Sie schluckte, denn sie musste nun die Wahrheit gestehen und damit einen Trumpf aus der Hand geben. „Die Bilder ja. Doch es gibt noch eine zweite Möglichkeit für eine Druidin, die Zukunft zu befragen.“
Er zog die dichten, blonden Augenbrauen zusammen, denn er hatte den bösen Verdacht, dass sie ihn schon die ganze Zeit über belogen hatte. „Du weissagst aus dem Blut eines Opfertieres? Oder aus dem Flug der Vögel?“
„Nein. Ich brauche dazu nur ein fließendes Gewässer. Eine Quelle am besten. Doch es geht auch an einem Bachlauf.“
Sie sah, wie seine Kiefermuskeln zuckten, als er zornig die Zähne aufeinanderbiss. Er hasste die Ungewissheit und war fast sicher, dass er auf einen Betrug hereingefallen war. Zugleich jedoch war es ihm fast unmöglich, dem bittenden Blick dieser dunkelblauen Augen zu widerstehen. Zumal sie die Lider gleich wieder senkte und ihm die anmutigen Halbkreise ihrer dichten, schwarzen Wimpern zeigte.
„Heute Abend will ich den Beweis, Hexe. Doch hüte dich, mich zu belügen, denn deine Strafe wäre fürchterlich.“
***
Die Wikinger waren guter Dinge, denn die Händler hatten kostbare Waren mit sich geführt. Gegen Mittag wurde eine kurze Rast gehalten, man band die Drachenboote an den dicht am Ufer stehenden Bäumen fest, sichtete die Beute und staunte über die bunten Seiden- und Wollstoffe, die Schwertklingen und die silbernen Fibeln und Gürtelschnallen. Auch Rauchwaren, wie Felle vom Otter und Marder, waren dabei, dazu dicke Kugeln aus goldfarbenem Wachs und etliche noch unbeschädigte Amphoren, die Wein enthielten. Rodena sah ungläubig zu, wie die wilden Burschen zu Kindsköpfen wurden, sich mit Stoffen und Ketten behingen, mit glänzenden Augen die Schwertklingen prüften und silberne Ohrgehänge, die eigentlich für Frauen bestimmt waren, an ihren eigenen, ungewaschenen Ohren befestigten.
Thore gestattete seinen Männern nur für kurze Zeit, die Beute zu besehen, dann ließ er alles wieder verpacken, gönnte seinen Leuten noch eine kleine Rast, um einen Imbiss zu nehmen und befahl gleich darauf, wieder die Schiffe zu besteigen. Bis zum Abend ruderten die Männer unablässig flussaufwärts, ohne dass der Wald sich lichtete. Als die Sonne die Baumwipfel im Westen rotgolden schimmern ließ, begann Thore die Ufer aufmerksam abzusuchen.
„Dort!“
Es war keine einfache Anlegestelle, denn hier lagen faulende Stämme im Wasser, die den Booten im Weg waren. Doch Thore hatte einen guten Grund, gerade diesen Ort zum Nachtlager zu wählen: Ein schmaler Bachlauf glitzerte silbrig durch das Buschwerk und ergoss sich zwischen dicken Steinbrocken in den Fluss.
Rodena kannte inzwischen das Anlegemanöver der Wikinger, ein Zusammenspiel aus der genauen Arbeit der Ruderer und der Geschicklichkeit des Mannes, der das seitlich am Heck angebrachte Steuer führte. Auch auf dem Fluss waren die Drachenschiffe jedem anderen Boot an Schnelligkeit und Wendigkeit haushoch überlegen.
Während der Fahrt hatte sie die junge Frau beobachtet, die immer noch gefesselt auf dem Schiffsdeck lag und nur einige Schlucke Wasser erhalten hatte. Sie hatte sich hin und wieder bewegt, denn die Fesseln und die ungewohnte Körperhaltung bereiteten ihr Schmerzen, auch hob sie den Kopf, um zu sehen, wo sie sich befand und was um sie herum geschah. Nur ein einziges Mal hatte Rodena einen ihrer suchenden Blicke aufgefangen und ihr zugelächelt. Doch es herrschte während der Fahrt eine strenge Ordnung auf dem Wikingerschiff, so dass sie nicht gewagt hatte, zu der Gefangenen hinüberzulaufen, um mit ihr zu sprechen.
An Land wurde das Lager für die Nacht eingerichtet, Brennholz gesammelt, ein Feuer entzündet, Häute und Decken auf dem
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