In den Fesseln des Wikingers
zum Bug des Schiffes. Dort stand er hochaufgerichtet, vom Schein der Laterne angeleuchtet und hatte trotzig die Arme vor der Brust verschränkt.
Papia war in lautes Schluchzen ausgebrochen, und Rodena drückte das zitternde Mädchen fest an sich, während sie beklommen zum Bug des Schiffes hinübersah.
„Du brauchst nicht zu weinen, Papia. Ubbe wird dich nicht bekommen, ich verspreche es.“
Der Schein der Laternen war so schwach, dass die rudernden Männer wie schwarze Gnome erschienen, die sich wie von einem Zauberbann gezwungen vor- und rückwärts bewegten, über ihnen flatterte das Segel im unsteten Wind wie ein gefangener Sturmvogel. Die Lampen der beiden anderen Schiffe waren als winzige Lichtpunkte hinter ihnen zu sehen, nur hin und wieder glitzerte eine hoch aufgeworfene Welle in der dunklen Strömung des Flusses.
Er ließ die Boote flussaufwärts rudern, immer weiter hinein in das Land des bretonischen Königs. Tatsächlich – Thore, der Wikinger liebte es, das Schicksal herauszufordern.
***
Die Erschöpfung ließ sie in einen tiefen Schlaf sinken, und nur das stetige Schwanken des Schiffes begleitete ihre traumlose Reise. Als eine aufgeregte Frauenstimme in ihr Bewusstsein drang, begriff sie zuerst kaum, wo sie sich befand.
„Rodena! So wach doch auf. Großer Gott – wie kann ein Mensch nur so fest schlafen!“
Regen fiel auf ihr Gesicht, sie blinzelte in trübes Morgenlicht und stellte fest, dass ihre Haare und ihr Gewand durchweicht waren. Papia saß aufrecht neben ihr und rüttelte sie an der Schulter.
„Dort sind Schiffe!“, flüsterte sie aufgeregt. „Alain Schiefbart ist gekommen, um uns zu befreien.“
Rodena wischte sich übers Gesicht und richtete sich langsam zum Sitzen auf. Unruhe herrschte an Deck, die Ruderer hatten ihre Bewegungen verlangsamt, mittschiffs erblickte sie Thore, der sich mit einigen seiner Getreuen beriet, was zu tun war. Sie musste sich zur Seite beugen, um an dem Drachenkopf vorbei über den Fluss sehen zu können. Es war diesig, die Reste grauer Morgennebel erschwerten die Sicht, doch die dunklen Konturen der beiden Schiffe hoben sich deutlich aus dem Dunst hervor. Sie waren von ähnlicher Bauart wie die Wikingerschiffe, nur breiter und eher für die Küstenfahrt geeignet. Doch sie trugen keine Ladung, sondern bewaffnete Kämpfer.
Die Männer an den Rudern redeten aufgeregt durcheinander, so dass man nur ab und zu einen Satz verstand.
„Die Kerle warten auf uns.“
„Wollen uns den Weg abschneiden!“
„Unsere Drachen stoßen leicht zwischen ihnen hindurch!“
Auch Thore schien der Meinung zu sein, dass seine Schiffe diese Blockade durchbrechen konnten, denn er befahl den Männern, mit voller Kraft weiterzurudern und stellte im Mittelgang Bogenschützen auf. Durch Zeichen und Zurufe verständigte er sich mit den beiden anderen Drachenbooten, auch dort bewaffneten sich die Männer, und die drei Wikingerschiffe hielten sich dicht beieinander.
Sie müssen gegen die Strömung rudern, dachte Rodena. Das wird viele Männer am Kampf hindern. Die Gegner liegen vor Anker und haben die Hände frei, ihre Waffen zu gebrauchen. Wieso sieht er das nicht ein und kehrt um?
Ein Wikinger fürchtet den Tod nicht, hatte er einmal gesagt. Aber man musste seinem Verderben ja auch nicht gerade hinterherlaufen.
„Ich habe Angst, Rodena“, jammerte Papia und klammerte sich an sie. „Sie werden mit Pfeilen schießen und ihre Äxte werfen.“
„Das werden sie wohl tun, Papia. Wir müssen uns dicht an der Reling auf den Boden legen. Hier – nimm die Decke.“
Ein rundes Wikingerschild rollte auf sie zu, und als Papia den Kopf hob, erblickte sie Ubbe, der am Ruder saß und ihr Zeichen machte, sich flach hinzulegen und dieses Schild über sich zu halten. Es war sein eigenes Schild – Ubbe selbst würde ohne diesen Schutz in den Kampf gehen.
Thores Schiffe waren nicht mehr weit von den beiden Booten der Angreifer entfernt, die Männer zogen die Pfeile aus den Köchern und legten sie an die Bogensehnen, kräftige Fäuste umschlossen die Stiele der Streitäxte. Da erklang plötzlich ein lauter Ruf von achtern.
„Noch zwei Schiffe! Sie kommen hinter uns den Fluss hinauf. Die dreckigen Bretonen müssen uns schon eine ganze Weile gefolgt sein!“
Die Mienen der Kämpfer verzerrten sich, denn es sah böse für sie aus. Vorn war die Durchfahrt durch zwei Schiffe blockiert, von hinten näherten sich weitere zwei Boote voller Kämpfer, die jetzt, da sie in Sichtweite waren,
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