In den Fesseln des Wikingers
ein, die während des Kampfes überall auf dem Boot zerstreut worden war, und entdeckte nun auch Papia zwischen zwei Ruderbänken, die sich zitternd vor Furcht hinter einem Wikingerschild versteckte.
„Eine Wikingerhure! Schau an, sie haben ihr sogar einen Schild gegeben, damit der Hübschen im Kampf kein Leid geschieht.“
„Schafft sie rüber zu den anderen!“
Papia schrie laut vor Entsetzen, als der Mann ihr den Schild aus den Händen riss und sie dann bei den Haaren fasste.
„Ich bin keine Wikingerhure“, jammerte sie. „Ich bin eine Bretonin.“
„Umso schlimmer für dich! Wenn du dich mit diesen Räubern zusammentust, kannst du von uns kein Mitleid erwarten.“
Alains Kämpfer waren schweißbedeckt, einige hatten böse Wunden davongetragen, trotz des Sieges schienen sie ärgerlich und enttäuscht. Papia wurde am Arm gepackt und hochgerissen, niemand kümmerte sich um ihr verzweifeltes Weinen, als man sie über die Reling auf das bretonische Schiff hinüber beförderte.
„He, da ist ja noch eine!“
Rodena wurde zwischen den Ballen und Tüchern hervorgezerrt, neugierige Gesichter beugten sich über sie, denn man stellte fest, dass sie gefesselt war. Dann kniete einer der Männer bei ihr nieder.
„Wer bist du?“
„Ich heiße Rodena. Die Wikinger haben mich an der Küste gefangen genommen und auf ihr Schiff verschleppt.“
„Elendes Wikingerpack!“, stieß er zähneknirschend hervor. „Fallen über mein Land her und entführen unsere Weiber. Sie werden es bereuen, das schwöre ich bei meiner Ehre!“
Der Mann war mittleren Alters, Bart und Haar waren wellig und braun, die kleinen, hellblauen Augen hielt er forschend auf Rodena gerichtet. Er trug ein kostbar gefertigtes Panzerhemd, dazu einen spitzen Helm, der mit eingehämmerten Mustern schön geschmückt war.
„Du hast Glück gehabt, Rodena“, sagte er und zog sein Messer aus dem Gürtel. „Wärest du auf einem der beiden anderen Boote gewesen, hätten wir dir nicht helfen können, denn sie sind uns entkommen. So aber bist du frei.“
Er zerschnitt ihre Fesseln, erhob sich dann und reichte ihr sogar die Hand, denn sie hatte Mühe, sich allein aufzurichten.
„Besorgt ihr einen trockenen Mantel“, befahl er. „Verfluchter Regen. Ich will, dass sie heil und sicher zur Burg gebracht wird, damit sie sich dort erholen kann.“
In diesem Augenblick begriff Rodena, weshalb Thore sie gefesselt hatte. Er hatte gewusst, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte, und hatte auf seine Weise dafür gesorgt, dass sie von den Siegern gut behandelt wurde. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf: Er hasste sie nicht, und er wünschte auch nicht ihren Tod. Im Gegenteil. Er hatte Vorkehrungen getroffen, sie über seinen eigenen Tod hinaus zu schützen.
„Warte einen Moment“, rief sie, denn der Mann hatte sich bereits abgewendet.
„Was noch?“, fragte er ungeduldig.
„Das Mädchen. Sie ist meine Dienerin.“
„Na und? Sie ist eine Wikingerhure.“
„Sie ist unschuldig. Und ich brauche sie dringend.“
Er zog die linke Augenbraue in die Höhe, offensichtlich fand er, dass sie recht energische Forderungen stellte, wenn man bedachte, dass sie eben noch Gefangene der Wikinger gewesen war. Nachdenklich ließ er den Blick über sie schweifen, dann gab er nach.
„Meinetwegen. Aber pass auf sie auf, denn sie taugt nichts!“
Rodena schluckte die Antwort hinunter und lächelte dankbar. Nie zuvor hatte sie den König der Bretagne zu Gesicht bekommen, doch sie zweifelte nicht daran, dass ihr Befreier Alain Schiefbart selbst war.
***
Die Sieger banden das eroberte Drachenschiff an einem ihrer Boote fest und ruderten flussabwärts. Man hatte Rodena auf dem Drachen gelassen, wo sie unbeachtet von Alains Männern auf der kleinen Ruderbank am Heck saß und dabei zusah, wie man die langen Ruder des Wikingerbootes einzog, um sie in die Gabeln zu legen, die zu diesem Zweck an der Reling angebracht waren. Auch das zerfetzte Segel wurde eingeholt, denn es flatterte im Wind wie ein nasser Lappen, und das Drachenboot schlingerte ohnehin heftig, als wehre es sich dagegen, an einem Seil durch die Wellen gezerrt zu werden. Es musste ein trauriger Anblick für die Gefangenen sein, wie die Sieger ihr stolzes Drachenschiff, das sie liebevoll „Meerbock“ oder „Wellenbeißer“ nannten, gleich einem gefangenen Tier hinter sich herzogen.
Tatsächlich hatten Alains Männer nur eines der drei Drachenboote erobert – von den anderen beiden war nichts zu sehen.
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