In den Fesseln des Wikingers
ein lautes, triumphierendes Gebrüll erhoben. Alain Schiefbart hatte die Feinde klug in die Falle gelockt – in wenigen Augenblicken würde er Thores Männer in die Zange nehmen, denn nun sah man, dass die beiden Boote vorn ihre Anker einholten und flussabwärts auf sie zutrieben.
„Odin steh uns bei!“, murmelte einer der Wikinger.
Schweigen war die Antwort, allen war klar, dass dieser Kampf viele von ihnen nach Walhall führen würde. Da durchschnitt Thores laute Stimme die Luft.
„Vorwärts, Männer! Mit voller Ruderkraft. Wappnet euch für den Kampf!“
Die Wikinger gehorchten, zogen die Ruder mit wütender Kraft durchs Wasser, und das Drachenboot flog dem Feind entgegen. Thore eilte zum Heck, trat dabei rücksichtslos auf Rodenas Gewand und brüllte den anderen beiden Drachenbooten Befehle zu. Dann beugte er sich hastig zu Rodena hinab, die sich im Schutz der hohen Reling zusammengekauert hatte.
„Die Hände her! Rasch!“
„Was?“
„Nun mach schon!“
Er fesselte ihre Hände mit einem Lederriemen, band ihr auch die Füße zusammen und stürzte dann wieder zum Bug, um der Erste zu sein, der sich den Feinden entgegen stellte.
Rodena zerrte verzweifelt an ihren Fesseln und begriff nicht, dass dieser Kerl bei all der Aufregung noch Zeit gefunden hatte, sie zu binden. Fürchtete er vielleicht, sie würde während dieses Kampfes mitten auf dem Fluss fliehen? Oder wollte er sichergehen, dass sie ertrank, wenn das Boot kenterte? Hasste er sie so abgrundtief, dass er ihren Tod wünschte? Oder war er nur fest entschlossen, sie mit sich in das kalte Reich der Schatten zu nehmen?
Plötzlich beneidete sie die kleine Papia, denn Ubbe, der Bär, hatte ihr seinen Schild gegeben, damit sie sich vor Pfeilen und Äxten schützen konnte. Thore lieferte sie stattdessen mit gebundenen Gliedern allen Gefahren aus.
„Papia!“, rief sie leise. „Papia, hilf mir – binde mich los!“
In diesem Augenblick zischte der erste Pfeil über die Reling, und das Geschrei der Angreifer erfüllte die Luft. Zu beiden Seiten des Drachenschiffes tauchten die feindlichen Boote auf, warfen Haken aus, um sich fest mit dem Wikingerschiff zu verbinden und Alain Schiefbarts Krieger schwangen sich auf das Deck des Drachens. Das Boot schwankte unter der Last der kämpfenden Männer, Pfeile und Schwertstreiche zerrissen das Segel, und die Ruderer hatten längst ihre Plätze verlassen, um ihre Äxte und Dolche zu gebrauchen. Verzweifelt bemühte sich Papia, Rodenas Hände zu befreien, doch die Fesseln waren fest angezogen, und Papia wagte nicht, das schützende Schild loszulassen. Dann plötzlich, als das Boot sich heftig zur Seite neigte, rutschte das Mädchen mitsamt dem Schild zwischen zwei Ruderbänke und blieb dort liegen. Auch Rodena wurde von ihrem Platz an der Reling fortgerissen, rollte zwischen den kämpfenden Männern hindurch und fand sich zwischen den Warenballen wieder. Dort kauerte sie sich zusammen und starrte durch eine Lücke zwischen den Bündeln hindurch auf das grausige Geschehen. Sie hatte diese Bilder in ihrem Traum vor Augen gehabt und konnte jetzt den Blick nicht abwenden. Immer wieder sah sie Thores mächtige Gestalt aus dem Getümmel herausragen, sah, wie er seine Streitaxt schwang und Hiebe austeilte, wie er sich gegen mehrere Angreifer zugleich zur Wehr setzte und geschickt den Streichen der Gegner auswich. Manchmal verschwand er im Gewühl, schien besiegt und gefallen, da tauchte er wieder aus der Menge hervor, blutend, das Gewand zerrissen, doch der Rausch des Kampfes blitzte in seinen Augen.
Das Ende kam rascher, als sie geglaubt hätte. Thores Männer waren der Übermacht nicht gewachsen, viele von ihnen lagen blutend auf dem Deck des Drachenbootes, andere wurden überwältigt und gebunden, wieder andere sprangen in den Fluss und versuchten so den Pfeilen, die man auf sie abschoss, zu entgehen. Mit starrem Blick verfolgte Rodena, wie Thore von mehreren Männern niedergerungen und gebunden wurde. Sein Gesicht war bleich und wutverzerrt, er blutete aus mehreren Wunden und konnte erst endgültig bezwungen werden, als man ihm einen kräftigen Schlag über den Schädel gab, so dass er taumelte und in sich zusammen sank.
„Schafft alle Gefangenen auf unsere Boote!“, rief eine befehlsgewohnte Stimme. „Und schaut nach, ob in einigen dieser Kerle noch Leben ist.“
Die Sieger durchsuchten das eroberte Drachenboot. Man warf die toten Feinde in den Fluss, schleppte die Lebenden davon, sammelte die Ladung
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