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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Panoramafenster stand und abwesend auf den Rasen starrte, der schon wieder in einen ungepflegten Zustand überging, bis sie einen schwachen elektronischen Ton hörte. Nachdem sie eine Weile durchs Haus gekreist war, fand sie die Quelle des Geräuschs im Garten, beim Ocotillo: Auf dem Baum saß eine Spottdrossel und imitierte das Klingeln von Maureens Handy, eine Folge von vier Marimba-Tönen. Einige Sekunden später hörte Araceli das Geräusch erneut, diesmal eindeutig aus dem Elternschlafzimmer, und sie lief wieder nach drinnen. Im Halbdunkel des Spätnachmittags glomm ein Licht neben einer der Nachttischlampen. Araceli ging hin und hob das Gerät auf, was sie sich früher an diesem Morgen nicht mal hätte träumen lassen. Bestimmte Gegenstände im Haushalt rührte sie nie an – Brieftaschen, Schmuck, lose herumliegende Geldscheine. Heute jedoch verloren diese Dinge wegen der unerklärten Abwesenheit der Hausherrin ihre gefährliche Ausstrahlung, und Araceli ergriff das Telefon mit den Fingerspitzen, wie die Ermittlerin in einem amerikanischen Fernsehkrimi, und las die Worte auf dem Display: 7 ENTGANGENE ANRUFE .
    Araceli hatte Mexiko City verlassen, als der Handyboom gerade erst losgegangen war, und sie selbst hatte nie eines besessen. Sie wusste nicht, dass sie mit zwei oder drei Tastendrucken die Identität der Anrufer hätte feststellen können, in diesem Fall sie selbst ( ZUHAUSE ) und SCOTT , der in der letzten Stunde fünfmal aus dem Büro versucht hatte, persönlich mit seiner Frau zu sprechen.
    Normalerweise kam Scott pünktlich um Viertel vor sechs von der Arbeit, das wusste Araceli genau, da in diesem Moment ihr Arbeitstag auszuklingen begann: El señor Scott kam durch die Tür von der Garage ins Haus, seine Söhne bestürmten ihn, im Garten zu spielen oder eine Partie Schach anzufangen, Samantha wankte vielleicht mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Das war das Signal für Araceli, das tischfertige Abendessen in abgedeckten Pyrex-Glasbehältern bereitzustellen, Maureen zu fragen, ob sie noch etwas brauche, und sich dann in ihr eigenes Zimmer zurückzuziehen, um ihrerseits zu essen und später zum letzten Aufräumen und Saubermachen zurückzukehren. So hatten sich die Gewohnheiten der Familie im Lauf von vier Jahren in Aracelis Tagesablauf eingegraben. Selten wurde dieser Rhythmus durchbrochen: Licht und Wetter in der Welt draußen veränderten sich, im Winter wurde das Abendessen im Dunkeln serviert, im Sommer bei hellem Sonnenschein. Auf diese Stunde wartete Araceli nun geradezu besessen. Die Backofenuhr ging auf fünf zu, sie lief ins Wohnzimmer, um nachzuschauen, ob die skandinavische Uhr auf der Anrichte die gleiche Zeit zeigte. Die Jungen kamen allein zurecht. Nachdem sie auch das Mittagessen ohne ihre Mutter eingenommen hatten, geriet die Autorität ihrer Erzeugerin immer weiter in Vergessenheit, und sie hatten ihre Gameboys angeschaltet.
    Die Stunde von Aracelis mutmaßlicher Erlösung kam und ging, ohne dass Scott durch die Tür trat. Die Pasta mit albóndigas war fertig. Sie hatte ihr Tagwerk getan. Wo steckt dieser Mann? Um Viertel vor sieben ging Araceli, einem Impuls folgend, aus der Haustür den Weg über den Rasen zum Bürgersteig des Paseo Linda Bonita hinunter, auf die stille und menschenleere Sackgasse. Mit verschränkten Armen stand sie dort und schaute die Straße hinunter, in der Hoffnung, el señor Scott um die Ecke kommen zu sehen, doch die Ansicht blieb unverändert: Araceli blickte auf die leere, breite Fahrbahn. Er kommt auch nicht nach Hause . No lo puedo creer. Sie haben mich im Stich gelassen. Die Sonne begann gerade ihren hastigen Abstieg zum täglichen großen Platsch ins Meer, Brandon und Keenan waren im Haus und kein Elternteil in Sicht. Sie hörte, wie im Nachbarhaus plötzlich die Klimaanlage ausging und sich eine verstörende Stille über die Straße senkte, die rasch idiotisch wirkte, als stünde sie nicht in diesem abgeschirmten Viertel, sondern auf einer Bühne, die das sinnentleerte amerikanische Vorstadtleben darstellen sollte. Wieso sieht man hier draußen so gut wie nie jemanden? Was passiert in diesen Luxuskästen, dass sie alle da drinnen hocken? Kein menschlicher Zeuge auf dem Paseo Linda Bonita bemerkte Aracelis Augenblick der Not, kein neugieriger Nachbar sah die Hausangestellte, die in ihrer Uniform auf der Straße stand, ungeduldig die Heimkehr ihrer Herrschaft erwartete und im sinkenden Halbdunkel mit den Zähnen knirschte. Araceli malte sich

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