Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
hatte aber keine Angst. Links vor ihnen bog ein schmaler Wasserarm ab, und wieder wusste Kelly schon vorher, dass sie in diesen Kanal einbiegen würden. Und als sie unter Bäumen durch die Bayous glitten, spürte Kelly in sich eine Veränderung.
    Was sie in Atlanta so beunruhigt hatte - das Bewusstsein, nirgends hinzugehören - war verschwunden. Das Moor kam ihr wie ihre eigentliche Heimat vor.
    Der Bayou, der nicht einmal einen Meter breiter war als das Boot, kroch zwischen zwei Inseln dahin, um sich dann zu gabeln.
    Und auch diesmal wusste Kelly im voraus, wohin Michael das Boot steuern würde.
    Sie schienen wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet.
    Als sie sich in den Verzweigungen der Bayous tief in das Sumpfgebiet hineinbewegten, wurde Kelly sich erneut des fast unhörbaren Sirenengesangs der vorhergehenden Nacht bewusst. Sie drehte sich nach Michael um. Trotz der Finsternis im Moor erkannte sie ihn klar und deutlich.
    Er hatte die Augen ausdruckslos auf sie gerichtet, sah jedoch gar nicht sie an. Es kam ihr vor, als ob er durch sie hindurchsähe. Er stellte den Motor ab und nahm die Ruder aus dem Bauch des Boots. Sie bewegten sich zur Musik aus dem Moor durch sonst absolute Stille.
    Die unwirklichen Töne des sublimen Lieds berührten Kelly im Innersten, und sie antwortete dem Ruf, überließ sich der überirdischen Musik und wurde von innerem Frieden erfüllt.
    Sie waren nicht mehr allein.
    Sie waren umgeben von anderen Booten, Schattenformen, die am Rande von Kellys Gesichtskreis trieben. Sie hatte keine Ahnung, wie viele Boote es sein mochten; das spielte auch gar keine Rolle, denn in jedem Boot saß jemand, der so wie sie dem sanften Ruf der Musik folgte.
    Das Schimmern eines Lichtscheins war zunächst kaum wahrnehmbar, bis es wie ein Leuchtfeuer durch das Dunkel drang und Kelly die Wärme trotz der Entfernung auf ihrem Gesicht zu spüren meinte. Sie fühlte sich von dem Schein angezogen wie eine Motte vom Licht; je näher sie kamen, um so mehr wuchs die Erwartung, dass in dieser Nacht Besonderes geschehen würde: In dieser Nacht würde sie endlich erfahren, wer sie eigentlich war und worin ihr Anderssein bestand.
    Sie brauchte keine Anweisung, als das Boot das Ufer erreichte. Sie stieg aus. Sie band das Boot an einen tief herunterhängenden Ast. Vor ihnen waren bereits andere Boote eingetroffen, rund um die Insel, und Kelly spürte die Anwesenheit weiterer Menschen, die dem Locken des Feuerscheins gefolgt waren.
    Die Musik war jetzt eindringlicher als zuvor; ein leises Trommeln erfüllte die Luft, als Untermalung einer hohen, singenden Stimme.
    Kelly und Michael gingen in einer immer größeren, engeren Gruppe dem Signal entgegen.
    Clarey Lambert fühlte die Kinder näherkommen. Kurz nach Anbruch der Dämmerung hatte sie sich zur Vorbereitung der Zeremonie auf den Weg gemacht zu der tief in den Sümpfen verborgenen Insel, wo vor vielen, vielen Jahren alles begonnen hatte.
    In der vergangenen Nacht war George Coulton gestorben.
    In dieser Nacht sollte ein neues Kind in den Kreis aufgenommen werden.
    Die Vorbereitungen für die Feierlichkeit waren praktisch beendet. Der Altar war gerichtet; nur die Kerzen mussten noch angezündet werden.
    Der Schwarze Mann befand sich ganz in der Nähe.
    Clarey konzentrierte sich völlig auf den Ruf, den sie vor einer Stunde ausgesandt hatte, den Ruf, den nur die Kinder vernehmen konnten, den Ruf, der die Kinder in den Zirkel lockte.
    Eines Tages würde auch sie sterben. Was würde der Schwarze Mann ohne sie tun? Würde, wie er immer behauptet hatte, ohne sie tatsächlich alles zu Ende sein?
    Sie bezweifelte es.
    Nein, er würde jemanden suchen, der an ihrer Stelle das Gewand tragen und die Kinder rufen müsste.
    Die Nachfolgerin würde die Kinder aber nicht lieben.
    Clarey liebte die Kinder. Wenn ein neues Kind in den Zirkel aufgenommen wurde, starb jedesmal ein Teil ihrer selbst. Dennoch lebte sie weiter. Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben, den Kreis aufzubrechen. Sie suchte noch immer nach einer Möglichkeit, den Schwarzen Mann zu vernichten und die Kinder von seinem Einfluss zu befreien.
    Sie wurde aufmerksam. In der Lichtung, wo die Kinder sich versammelten, spürte sie eine ungewohnte Präsenz.
    Clarey hatte ihr Bewusstsein vor Jahren auf jedes einzelne Kind eingestimmt, so dass sie seinen Aufenthaltsort jederzeit erfuhr. Es gab nur zwei Ausnahmen - die beiden Kinder, die der Schwarze Mann vor sechzehn Jahren aus dem Moor freigegeben hatte. Es handelte sich um ein

Weitere Kostenlose Bücher