Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
nich’ ‘brauchen.«
    Barbara blieb eine Stunde lang bei Amelie, um sie nach besten Kräften zu trösten, doch Amelie hatte recht. Für sie würde kein Wunder geschehen, ihr würde kein goldblondes Baby in den Arm gelegt werden an Stelle des Kindes, das sie verloren hatte. Barbara war allerdings überzeugt, dass die Zeit auch Amelies Leid einmal heilen würde.
    Von der Geburt und dem Leid erschöpft, schien Amelie schließlich einzuschlafen. Barbara dämpfte das Licht und verließ den Raum. Kaum war sie gegangen, schlug Amelie die Augen wieder auf.
    »Er is’ nich’ tot«, flüsterte sie in der Stille des leeren Zimmers. »Ich würd’ doch wissen, wenn er tot wär’.«
    Sie war aus tiefster Seele überzeugt, dass ihr Sohn noch lebte.

9
     
    Kelly saß mit den Eltern und dem Großvater im Wohnzimmer. Der Fernseher lief; sie sah aber nicht hin. Sie schaute aus dem Fenster; die beginnende Dämmerung faszinierte sie. Vor einer halben Stunde war die Sonne untergegangen; nun begann es im Zwielicht zu dunkeln. Die Laute aus dem Moor jenseits des Kanals wurden lauter; durch die offene Tür drang ein schwerer Duft von Jasmin. Die warme Abendluft war so still, dass Kelly ersticken zu müssen glaubte, wenn sie im Haus bliebe.
    Sie dachte an Michael.
    Sie war fest überzeugt: Er würde kommen heute abend.
    Warum sie davon so überzeugt war, wusste sie nicht - auf ihren Vorschlag am Nachmittag hatte er undeutlich vor sich hingemurmelt und war davongesaust.
    Trotzdem: Er würde kommen.
    Aber sie wollte vermeiden, dass ihr Vater Michael ausfragte, als wäre er irgendein Primitivling, der sie möglicherweise vergewaltigen könnte.
    Und ihr Vater sollte ihn auch nicht nach ihren Plänen und Zielen aushorchen können.
    Sie erhob sich vom Sofa und reckte sich. »Ich geh auf mein Zimmer«, sagte sie, einfach so.
    Ihr Vater hob nicht einmal die Augen vom Fernseher, als er fragte: »So früh? Der Film hat doch erst angefangen.«
    »Er gefällt mir nicht besonders«, meinte Kelly. »Ich höre mir oben Musik an und lese.« Sie gab den Eltern einen Gutenachtkuß und eilte die Treppe hoch. In den nächsten paar Stunden würde niemand auf die Idee kommen, nach ihr zu schauen - und anschließend würde man annehmen, dass sie bereits eingeschlafen sei.
    Auf ihrem Zimmer zog sie die Decke vom Bett, schob ein paar Kissen unter die Laken und überprüfte die optische Wirkung von der Tür aus. Ohne Licht musste man den Eindruck gewinnen, sie läge schlafend im Bett. Sie machte das Licht aus und verließ das Haus durch die Tür zur Außentreppe. Sie nahm die Stufen leise und vorsichtig; da die Stufen neu und solide gebaut waren, gab es kein Knarren, das sie hätte verraten können. Kelly lief zum Kanal, wandte sich nach rechts; ein paar Schritte vom Haus ihres Großvaters entfernt ließ sie sich auf einer Bank nieder.
    Ein Mückenschwarm schwebte über dem Wasser des Kanals, aus dem kleine Fische in die Luft sprangen, um nach den Insekten zu schnappen; der Wasserspiegel bildete stets neue gekräuselte Muster. Vom Himmel ließ sich ein Vogel ins Wasser herabfallen, um mit einem Fisch im Schnabel wieder emporzutauchen. Ein zweiter Vogel, noch einer - schließlich nährte sich eine ganze Vogelschar an den Fischen, die sich von den Mücken genährt hatten. Kelly sah fasziniert zu, bis wie auf ein geheimes Signal alle Vögel auf einmal entschwirrten. Doch so angestrengt Kelly auch in die Wildnis jenseits des Kanals spähte, sie bemerkte nichts, was die Vögel aufgescheucht haben könnte.
    Dann hörte sie ein leises Puckern, welches das Gesurr der Frösche und Insekten übertönte.
    Ein Boot bog um die Kurve. Kelly wusste instinktiv, wer sich ihr näherte. Sie stand auf und trat ans Ufer. Das Boot glitt heran. Michael stand im Heck und schaute sie erstaunt an.
    »Wieso hast du gewusst, dass ich kommen würde?« wollte er wissen, als sie in sein Boot stieg und sich auf die Bank in der Mitte setzte.
    Kelly zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Mir war einfach so. Passiert dir das nie? Dass du vorher weißt, was als nächstes kommt?«
    Michael runzelte die Stirn. »Ich habe es doch selbst nicht gewusst, bis ich aus dem Haus war.« Er überlegte kurz. »Zu Hause hat es Streit gegeben.«
    Und Kelly verstand sofort, dass der Streit sie betraf, weil Michael nämlich ganz verlegen wegschaute. Sie wartete. Er drehte das Boot schweigend in die Richtung, aus der er gekommen war.
    Während sie auf dem Kanal langsam dahintrieben, wurde es dunkel. Kelly

Weitere Kostenlose Bücher