In den Klauen des Löwen
Malanga wandte sich ab und ging drei Schritte von Thorwaldsen weg. Dieser benutzte die Gelegenheit, sein Gewehr in Anschlag zu bringen. Noch einmal überrumpelst du mich nicht, dachte er. Von jetzt ab beobachte ich dich wie eine Wildkatze. Und ich kann schnell und gut schießen, das glaube mir, mein Junge. Ich habe sieben Jahre nichts anderes getan als geschossen.
»Sie lieben also Corinna auch?« fragte Malanga noch einmal.
»Ich habe darüber nicht genauer nachgedacht, aber wenn man mich darauf anspricht: Ja! Ich mag sie!« Thorwaldsen legte den Finger an den Abzug. »Vor einigen Jahren habe ich einmal gedacht: Donnerwetter, aus diesem Mädel wird mal etwas Schönes. Ich besuchte damals die Sanders, und Corinna war in den Ferien aus dem Internat da. Ich glaube, sie kam aus der Schweiz. Wenn die mal groß ist, dachte ich. Nun ist sie groß, und wenn ich mir das richtig überlege, wäre sie eine Frau, mit der ich leben könnte.«
»Weiß sie das?«
»Ebensowenig wie die Liebe Ihres schwarzen Herzens.«
Malanga wandte sich um, trat mit den Stiefeln etwas in den seichten Fluß, bückte sich und schöpfte mit den Händen ein paarmal Wasser. Er ließ es über seinen Kopf rinnen, als müsse er einen Brand löschen, der ihn von innen heraus zerfraß.
»Sie haben viel Mut«, sagte er dann. Thorwaldsen zog das Kinn an und kniff die Augen erwartungsvoll zusammen.
»Wieso?«
»Sie haben sich Corinna und mir angeschlossen, obwohl Sie wissen, daß ich zu den Bwambas will. Sie werden mir nichts tun, Corinna werde ich schützen … aber wer übernimmt Ihren Schutz?«
Thorwaldsen lächelte verzerrt. »Gut, daß Sie davon sprechen, Doc. Da ist nämlich ein Gedankenfehler bei Ihnen. Corinna wird nicht zu den Bwambas fahren. Solange die Richtung ungefähr stimmte, machte ich mit. Jetzt sieht die Lage anders aus. In die Sümpfe hinein – und das wollen Sie ja wohl – wird Corinna nie gehen. Wir werden nach zwölf Kilometern die Straße nach Kijura erreichen und dann so schnell wie möglich Fort Portal ansteuern. Ihr Mondbergetreck ist doch eine hirnverbrannte Idee!«
»Das heißt: Ab sofort sind wir Gegner?«
»Welch große Worte für eine so natürliche Sache!« Thorwaldsen riß das Gewehr hoch. Er war schneller als Malanga, der sich nach seinem Gewehr bücken wollte, das er beim Wasserschöpfen auf den Ufersand gelegt hatte. »Stopp, mein Sohn! Weg von der Waffe!«
Malanga blieb stehen. Hochaufgerichtet, stolz. Über sein wie aus Ebenholz geschnitztes Gesicht liefen noch die Wassertropfen. Das krause, wollige Haar hatte die Feuchtigkeit wie ein Schwamm gespeichert.
»Können Sie einen Wehrlosen erschießen, Sir?« fragte er laut. Thorwaldsen kaute an der Unterlippe. Die Situation war klar, und doch zögerte er, abzudrücken und damit alle Probleme zu lösen. Wäre Malanga ein sprungbereiter Löwe, ein angreifender Wasserbüffel, ein alter, zorniger Elefant gewesen: Thorwaldsen hätte keine Sekunde mit dem Schuß gezögert. Oft genug war er gezwungen gewesen, auf diese Weise sein Leben zu retten. Wer sieben Jahre in der Savanne jagt, entwickelt ein äußerst feines Gefühl für den Bruchteil der Sekunde, auf den es ankommt. Aber hier stand ihm ein Mensch gegenüber, den er zwar nicht leiden konnte, der ihm aber doch Achtung abnötigte. Ein Mensch mit Mut und Geist, der nur zwei Fehler hatte, für die er nicht verantwortlich war und für die er trotzdem zu leiden hatte: Er liebte Corinna und hatte eine schwarze Haut.
»Ich werde nicht so blöd sein und Sie an die Waffe heranlassen«, sagte Thorwaldsen heiser vor Erregung.
»Aber zu einer Lösung des Problems muß es kommen.« Malanga hob die Schultern. »Schießen Sie, Sir. Sie haben die beste Sekunde erwischt.«
Thorwaldsen atmete tief auf und blinzelte. Schweiß rann ihm über die Augen, obgleich es noch nicht so heiß war. Die Morgensonne begann gerade erst, sich am Himmel einzurichten und gegen die Kühle der Nacht anzukämpfen.
»Sie wissen genau, daß ich das nicht kann«, sagte er dumpf. »Aber Sie haben wiederum recht: Wir müssen uns irgendwie klarwerden! Ich lasse es nicht zu, daß Corinna in die Mondberge fährt. Sie wollen sie dorthin bringen. Eine Meinung kann nur gelten!«
»Wir sind zwei alte Löwen, die um ein Weibchen kämpfen.« Malanga legte die Hände auf den Rücken. »Ich schlage Ihnen vor, Sir, daß wir auf die Jagd gehen. Betrachten Sie mich als Wild, wie ich Sie als Wild ansehe. Jagen wir uns gegenseitig. Das ist eine faire Lösung. Sie
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