In den Klauen des Löwen
Lehm, der kein Wasser durchließ. Nur oben, vielleicht einen halben Meter dick, lag eine Schicht fruchtbarer Boden, von Nässe durchweicht. Hier konnte Schilf wachsen, weil die Lehmschichten darunter das Wasser am Versickern hinderten.
Es bleibt nichts anderes übrig, als Stufen in die Wand zu schlagen, dachte Malanga. Es wird eine lange, die Kräfte verzehrende Arbeit werden, aber es ist der einzige Weg zurück ins Leben.
Er zog alle Kleidung aus. Nackt, von allem Ballast befreit, begann er, mit dem Gewehrkolben und dem Lauf Loch um Loch und Furche um Furche in die harte Wand zu schlagen. Wie ein Bildhauer jeden Zentimeter dem Stein abringt, so hämmerte sich auch Malanga in den steinharten Boden.
Nach vier Stufen, die gerade so tief und breit waren, daß er sich mit den Stiefelspitzen darin halten konnte, mehr ein Festkrallen als ein Aufwärtssteigen, machte er eine Pause und setzte sich auf die Äste der eingebrochenen, geflochtenen Grubenabdeckung. Schweiß ließ Malangas schwarze Haut wie poliert glänzen, die Hitze stand wie eine Glutglocke über dem Schilf. Er hatte Durst, pflückte ein paar Blätter und steckte sie in den Mund. Langsam zerkaute er sie, bis sie ein breiiger Kloß waren und erfrischte sich so an seinem eigenen Speichel.
Was wird Thorwaldsen wohl Corinna gesagt haben, dachte er dabei. Wie hat Corinna reagiert? Glaubt sie, daß ich einfach verschwunden bin? Traut sie mir so etwas zu? Oder wird sie mich suchen, sosehr sich Thorwaldsen auch dagegen wehrt?
Er starrte empor zu dem runden Himmelsausschnitt, wo das Leben war. Drei Meter nur … so winzig ist die Strecke zwischen Tod und Leben. Drei Meter …
Malanga behielt den grünen Blätterkloß zwischen den Zähnen und setzte die Arbeit fort. Er hieb die nächsten Stufen in die glatte, harte Wand. Solange er noch auf dem Grund der Grube stand und die Löcher so hoch, wie seine Arme lang waren, schlagen konnte, ging die Arbeit ziemlich schnell vorwärts. Schwierig wurde es erst, als er auf den schmalen Tritten an der Wand klebte und über sich die neuen Stufen schlagen mußte, jede Sekunde damit rechnend abzustürzen. Das war natürlich nicht lebensbedrohend, der Fall würde nicht tief sein, aber die Zeit verrann, und mit der Zeit auch die Kraft in seinem schwitzenden, vor Anstrengung zuckenden Körper.
Es mußte gegen Mittag sein, als Malanga zwei Meter geschafft hatte. Die Hitze war unerträglich geworden. Millionen Mücken umschwirrten ihn und fielen über ihn her, angelockt von dem süßen Schweiß, der über seinen nackten Körper strömte. Dieser Feuchtigkeitsverlust trug dazu bei, daß er ab und zu mit dem Stufenschlagen einhielt, sich an die Wand lehnte und tief durchatmete. Dann flimmerte alles um ihn herum in bunten Farben, die Schwäche gaukelte ihm verwirrende Bilder vor die Augen, bis er den Kopf an die Erde lehnte und erschöpft einige Minuten die Lider schloß.
Weiter, schrie es dann in ihm. Weiter! Nur noch eine kurze Strecke. Willst du beim letzten Meter kapitulieren? Soll Thorwaldsen recht behalten: Nimm den Lauf des Gewehres zwischen die Zähne und kürze das Sterben ab …? Weiter, Malanga! Nicht nur eine schöne, weiße Frau wartet auf dich, auch dein Volk braucht dich. Es rennt unter dem Haß Budumbas in das Verderben. Schlage dich weiter die Wand hinauf, Malanga … es ist nicht dein Schicksal, in einer Fanggrube zu verkommen, bei vollem Bewußtsein zu vertrocknen. Der letzte Meter war der schlimmste. In der feuchten Schicht fanden seine Hände keinen Halt, sie glitten ab, griffen wie in Pudding. Keuchend versuchte Malanga, sich hochzuschnellen, um den Grubenrand zu packen … dreimal stürzte er ab, fiel auf den Blätterboden und kletterte wieder die Stufen hinauf.
Beim viertenmal gelang es. Er krallte die Finger in den nassen Boden, hing frei über der Grube, die Beine zuckten, in den Armen zitterte die Anstrengung. Kraft … Kraft brauche ich, sagte sich Malanga vor. Kraft, mich jetzt emporzuziehen. Einen Klimmzug nur, einen lächerlichen Klimmzug, wie ich ihn hunderte Male an einer Reckstange getan habe … in der Schule, bei den Studententurnmeisterschaften in Köln. Ich war der Dritte im Kunstturnen, ich konnte Riesenwellen und Fluggrätschen … und nun habe ich nicht einmal mehr die Kraft zu einem Klimmzug.
Malanga biß die Zähne zusammen. Er atmete tief ein, hielt dann den Atem an und sammelte alle Energie in sich. Er gab sich selbst ein Kommando, legte alle Kraft in die Armmuskeln und zog sich
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