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In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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glitzerten.

    Amüsiert schloß Edeltraut die Augen.
Na, sowas! dachte sie. Habe ich einen Sonnenstich? Oder bin ich verkatert?
Gleich sehe ich noch einen rosa Elefanten! Nicht zu glauben, was für
Halluzinationen ( Sinnestäuschungen ) man hat!
    Sie rieb sich das Wasser aus den Augen
und sah abermals zu den Farnen.
    Der Tigerschädel war verschwunden. Na
also! Leichter Wind strich über die Farne. Sie bewegten sich sanft.
    Edeltraut tauchte die Arme ins Wasser
und ging dann zur Hütte zurück.
    Erst wollte sie von ihrer Wahrnehmung
erzählen, um zur allgemeinen Belustigung beizutragen. Aber dann verwarf sie den
Gedanken. Es hätte sie wohl doch in ein etwas schiefes Licht gerückt, und der
Spaß wäre — wie sie meinte — nur auf ihre Kosten gegangen.
    Wolfi Keup trat eben aus der Hütte,
führte die Hand zum Mund, schluckte etwas und spülte mit Bier nach.
    „Das ist schon deine zweite
Kopfschmerztablette“, lachte Werner Pechowski.
    Wolfi grinste verlegen. „Hoffentlich
hilft sie gegen Gespenster?“
    „Gespenster?“ fragte ein anderer
Kollege.
    Wolfi setzte sich wieder an den Tisch
und griff nach seinen Karten.
    „Was man eben so sieht“, meinte er
nebenhin, „wenn man einen über den Durst getrunken hat.“
    „Hast du die Waldfee gesehen?“ Lachend
knallte Pechowski den Herzbuben auf den Tisch.
    „Nee, einen Tiger.“
    „Was?“ Edeltraut schrie so schrill, daß
ihre Kolleginnen aus den Liegestühlen hochfuhren. „Einen... einen Tiger?“

    Verwundert blickten die Männer sie an.
    „Ich weiß“, sagte Wolfi, „daß es im
deutschen Wald keine Tiger gibt. Nicht mal Nashörner, hahah. Aber Licht und
Schatten, Sonne und Bier und die eigene Einbildung gaukeln einem die
seltsamsten...“
    „Ich habe auch einen Tiger gesehen“,
unterbrach Edeltraut. „Eben. In den Farnen bei der Quelle. Einen gewaltigen
Tigerschädel. Nur für einen Moment und mit Wasser in den Augen. In meinen
Augen, meine ich. Deshalb — ich glaubte auch, ich spinne.“
    Für einen Moment sagte keiner was.
    Langsam drehte Wolfi sich um. Mit
flacher Hand schirmte er die Augen gegen das Sonnenlicht ab. Er sah lang und
aufmerksam hinüber zu den dichten Büschen auf der anderen Seite der Lichtung.
    „Dort habe ich ihn gesehen. Auch nur
den Kopf. Ganz kurz. Dann war er verschwunden.“
    „Das ist doch unmöglich“, sagte
Pechowski, „im Naturschutzpark sind zwar Luchse ausgesetzt, aber keine Tiger.
Vielleicht habt ihr eine Wildkatze...“
    „Werner!“ fiel Edeltraut ihm ins Wort. „Ich
habe Biologie und Zoologie studiert. Ich kann einen Tiger von einer Wildkatze
unterscheiden.“
    „Klar, aber...“
    „Werner, es war ein Tiger!“ wurde er
abermals unterbrochen — allerdings von Wolfi.
    „Na, schön! Der Wald wimmelt also von
Tigern. Mir soll’s recht sein. Spielen wir weiter? Du bist dran.“
    „Warum regt ihr euch auf“, meinte ein
anderer Kollege. Und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: „Ist doch klar, was da
läuft. Wir werden gefoppt.“
    Alle grinsten, nachdem sie begriffen
hatten.
    „Du meinst“, sagte Pechowski leise, „unsere
lieben Schüler haben uns aufs Korn genommen?“
    „Wer denn sonst?“
    „Hm. Könnte stimmen. Es müssen Externe
sein. Die Heimschüler sind alle nach Hause gefahren. Daß wir hier die Natur
anbeten, hat sich sicherlich rumgesprochen. Es soll ja immer noch Tigerfelle
als Bettvorleger geben. Mit ‘nem dicken Schädel dran. Damit wollen sie uns
Angst einjagen.“
    „Aber er hat die Zähne gefletscht“,
sagte Wolfi.
    „Also — das nun bestimmt nicht. Das
hast du dir eingebildet.“ Pechowski grinste. „Bin gespannt, wer im Fell steckt.“
    Wolfi seufzte erleichtert. „Den Bengeln
verderbe ich den Spaß. Wenn der Kopf wieder auftaucht, nehme ich eine
Grillwurst und gehe auf ihn zu — als wollte ich ihn füttern.“
    Seine Kollegen lachten.
    Alle hatten sich umgewandt und suchten
Büsche und Sträucher mit Blicken ab. Rund um die Lichtung wuchsen auch Farne
und hohes Gras.
    Kein Tiger zeigte sich.
    „Sie überreizen die Sache nicht“, sagte
Wolfi. „Sie sind geschickt.“
    „Wahrscheinlich verträgt ihr
Tigerschädel keinen zweiten Blick“, meinte Pechowski. „Ist sicherlich so alt,
daß das Sägemehl rausrieselt.“
    „Macht gefälligst ein besorgtes
Gesicht!“ sagte ein anderer. „Sonst merken sie, daß wir ihr Spiel durchschaut
haben.“
    In der Ferne quirrlte ein Hubschrauber
durch die sonnenglastige Luft. Er schien sehr tief zu fliegen, dicht über

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