Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

Titel: In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
Vom Netzwerk:
setzte ich mich vor den Fernseher.
    Ich kannte nicht einmal ihre Namen. Sie hatten sie mir einmal gesagt, doch in der Aufregung der letzten Tage hatte ich sie alle wieder vergessen. Sie klangen irgendwie ähnlich.
    Die Mädchen hatten keine Papiere, sie sprachen kein Deutsch, sie waren nicht einmal volljährig, doch sie hatten dreiundzwanzigtausend Mäuse und Schöße, die nicht verwöhnt waren. Vermutlich würden sie morgen schon an Bord eines russischen Frachters sitzen und in einigen Wochen bereits das Chinesische Meer riechen... Zwar starrte ich ausdruckslos auf die Glotze, doch innerlich war ich aufgewühlt. Ich wünschte, sie hätten mich mitgenommen, auf ihre Heimreise. Doch der bloße Gedanke war unsinnig. Ich war ein Produkt des schlechten Wetters und sollte für immer hier bleiben, im Reich des kalten Regens. Die vier Frauen kamen mir plötzlich wie eine Fata Morgana vor. Eine vorübergehende Erscheinung, von der wenig mehr bleibt, als Bruchstücke einer Erinnerung, die sich unaufhaltsam zersetzte und verblasste.
    Ich beschloss bald, dass es an der Zeit war, etwas mehr von der Stadt zu sehen. Den kleinen Lebensmittelladen unweit meiner Wohnung kannte ich nach einigen Tagen schon ganz gut. Und so begann ich auszugehen. Zuerst nur abends und nie ohne einen gewissen Hauch von Vorsicht walten zu lassen. Ich sah mich ständig um, da ich nie die Möglichkeit vergaß, dass man mich während dieser seltsamen Zeit, während dieses gesamten befremdlichen Intermezzos, nicht aus den Augen ließ. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich nichts von meinem Gefrierfachgeld dazu verwendete, mir etwas von dem falschen Gold in der Herbertstraße zu kaufen. Ich wollte nicht beschattet werden, während ich mit Dirnen Preise aushandelte. Dabei hatte ich nicht etwa das Gefühl, dass ich direkt beobachtet wurde. Ich spürte kein unheimliches Paar Augen in meinem Nacken. Es war eher eine logische Annahme, für die ich nur keine Bestätigung fand. Denn niemand kam und kontaktierte mich. Niemand verhielt sich verdächtig. Es gab auch keine Kameras in der Wohnung. Keine Wanzen. Und ich hatte sehr gründlich gesucht, mit allem Wissen, das mir englischsprachige Agentenfilme zur Verfügung stellten. Ich untersuchte sogar das WC nach Kameras, was man eindeutig als eitle Selbstüberschätzung deuten kann. Es gab jedoch keinen Grund, der mir für komplexe Observierungen einfiel. Keinen Grund, mich wochenlang wie eine Maus im Versuchslabyrinth zu beobachten.
    Es vergingen Monate ohne die geringste Veränderung meiner Situation. Ich absolvierte einsame Weihnachten, doch das war ich gewöhnt. Meine Verwandten waren wie stets jenseits meines Ereignishorizonts und weder wusste ich, wo sie waren, noch hatte ich vor, ihnen meinen Aufenthaltsort zu offenbaren.
    Nur einmal hatte ich in einer öffentlichen Telefonkabine die Nummer meines Vaters gewählt. Es war früher Abend und ich nahm an, dass er zuhause saß. Vermutlich las er die Zeitung und blickte über ihren Rand auf die Tagesschau im Fernseher. Es klingelte fünfmal, und dann knackte es kurz in der Leitung. Ich hörte ein kurzangebundenes, karges »Ja?« und erkannte seine Stimme. Vermutlich stand er neben dem Telefon, verärgert über die Störung, mit der schnell gefalteten Zeitung in der Hand. Im Hintergrund hörte ich den Fernseher. Ich legte auf.
    Ich musste nur das Geheimnis akzeptieren, dann mochte es ewig so weitergehen.
    Ich begann, mich in der Künstlerszene herumzutreiben und in Ausstellungen zu gehen. Ich fing an, House- und Technoparties zu besuchen. Ich kaufte mir ein paar CDs. Läden mit schräger Bückware gab es in Hamburg ungefähr zweitausendmal mehr als in München. Ich rauchte wieder gelegentlich einen Joint, aber ich empfand für eine gewisse Zeit nicht mehr die Notwendigkeit, es ständig zu tun. Die Welt hatte einen anderen Grad an Bedeutung und Tiefenschärfe gewonnen. Und so sehr ich davon überzeugt war, dass dieser Zustand nicht ewig halten konnte, gab es in meinem Leben für die Drogen keine banalen Lücken zu schließen. Denn alles war nun rätselhaft.
    Ich hatte Zeit. Ich hatte nicht mehr so viel Geld, doch ich besaß dieses unbeschreibliche Gefühl eines neuen Lebens. Mein Leben war eine neue, leere Leinwand, die zu bemalen ich begann.

    * * *

    Und dann sah ich sie.
    An einem Abend hatte ich beschlossen, Danglars einen Besuch abzustatten. Von dem Handzettel, den ich in dem Buch gefunden hatte, wusste ich, dass Dienstag ein Tag ohne Uniform- und sonstigem

Weitere Kostenlose Bücher