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In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

Titel: In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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schwirrten wie Glühwürmchen um ein dunkles unbeschreibliches Nichts.

2.02 Biologie und Geist

    Also von Anfang an...
    Hamburg hatte weder die Thailänderinnen, noch mich erwartet. Niemand stand dort auf dem Bahnsteig und empfing uns. Niemand nahm mich beiseite und erklärte mir, was hier gespielt wurde.
    Ich suchte nach der Wohnung auf der Visitenkarte und fand sie keine fünf Minuten von der Reeperbahn entfernt. Der Schlüssel auf der Rückseite der Karte passte. Die Wohnung hatte alles, was man brauchte, in einer schlichten schmucklosen Ausführung. Nicht ohne Geschmack, doch mit Betonung auf Raum und Neutralität. Es gab ein Telefon, und es gab einen Fernseher. Die Küche war in gutem Zustand. Entweder überragend gut gereinigt oder einfach nur kaum benutzt. Das Badezimmer war einfach, doch es hatte fast die Größe meiner gesamten Münchner Wohnung. Ich schätzte Dr. Mårtenssons Appartement auf mindestens hundertfünfzig Quadratmeter. Hier hätten sich meine Comic-Sammlungen gut verstauen lassen.
    Die vier Mädchen zogen sich schnatternd im Schlafzimmer zurück und besetzten das große Bett, und so machte ich es mir im Wohnzimmer auf dem Sofa bequem.
    Dort hatte ich auf dem Boden einen kleinen Bücherstapel gefunden. CDs oder Filme gab es hier nicht. Keine Nachricht oder weitere Anweisungen. Ich sah mir die Buchrücken an und fand, dass sie nahtlos zu jenen Kopfschmerzschinken gehörten, die ich bereits im Zug angelesen hatte. Wirklich prächtig, dachte ich damals und setzte meine beste Dirty-Harry-Miene auf.
    Aus einem der Bücher ragte ein Lesezeichen heraus. Ich schlug das Buch an dieser Stelle auf. Ein Absatz war mit einem Bleistift markiert. Ich las den Anfang.
    »W IR SIND P TOLEMÄER ...«
    Ich sah auf den Einband. Es war ein Buch aus dem Jahr 1956 und trug den Titel Biologie und Geist . Der Autor hieß Adolf Portmann. Es war mir gänzlich unklar, was jemanden motiviert haben könnte, gerade diesen Absatz zu markieren. Ich legte das Buch beiseite und musterte das Lesezeichen. Es war in Wirklichkeit ein Handzettel, der in den Eingängen von Nachtclubs ausgeteilt wird. Kein billiger Flyer, sondern auf teurem Hochglanzpapier gedruckte Werbung für ein Lokal mit dem Namen Danglars . Dem Foto nach zu urteilen, musste es sich um einen dieser Lack-und-Leder-Clubs handeln, von den es in Großstädten immer mehr gab. Unter der Wegbeschreibung stand die Zeile: »Dienstag: kein Dresscode, offener Einlass.«
    Ich legte das Lesezeichen auf den Tisch und sah nach den vier Mädchen. Sie lümmelten sich auf dem großen Bett und wirkten sichtlich entspannt. Das mutete irgendwie unwirklich an, doch ich ahnte, dass ich mich an diese neue Tonart in meinem Leben gewöhnen musste. Ich hatte den ausgetretenen Pfad verlassen und nichts würde so sein, wie es bisher war. Wieder einmal.
    Wir blieben, denn wir hatten sonst keinen Platz, an dem wir uns hätten verstecken können. Die meiste Zeit saß ich mit den Frauen vor dem Fernseher, schlang roboterhaft Popcorn in mich hinein, stets in der Erwartung, dass jemand einen zweiten Schlüssel in das Haustürschloss schob, hineintrat und mich dann entweder tötete oder aufklärte. Aber nichts geschah. Weder der Tod noch die Wahrheit ereilten mich.
    Der Kühlschrank beinhaltete einige Lebensmittel — alles Sachen mit langer Haltbarkeitsdauer. Nur in dem Gefrierfach steckte eine steinharte Stange Toastbrot. Immerhin. In meinem Gefrierfach in München gab es nur die eisgefrorenen Schalen von einer Wassermelone. Ich war irgendwann zu faul, sie in eine Mülltonne zu werfen — eine faulende Wassermelonenschale inmitten eines heißen Sommertags kann das Leben zur Hölle machen.
    Als ich einige Tage später loszog, um neue Fressalien einzukaufen, erwartete mich nach meiner Rückkehr eine Überraschung. Die Wohnung war leer und die vier Frauen weg. Ich stand im Schlafzimmer und konnte sie noch immer riechen. Diese eigentümliche Mischung aus Lavendel, Gewürzen und Mottenkugeln.
    Mit ausdrucksloser Miene ging ich in die Küche, öffnete das Gefrierfach und nahm den kleinen Plastikbeutel heraus. Er fühlte sich deutlich leichter an. Ich griff nach dem Geldbündel. Es waren nur noch fünf Tausendmarkscheine. Auf ihnen klebte ein gelbes Post-it mit der krakeligen Aufschrift:

    Sorry!
    We  love You!

    So fühlt es sich also an, wenn man gerade um dreiundzwanzigtausend Mark erleichtert wurde. Ich steckte das restliche Geld wieder zurück und klappte die Tür des Gefrierfachs zu. Mit einem Bier

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