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In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

Titel: In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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Tanzfläche gibt es kleinere Nebenräume, in denen bei schummrigem Licht die Party ans Eingemachte geht. In einer dieser Seitenkammern entdecke ich Evelyn. Sie steht allein, mit ihrem Drink in der Hand, und beobachtet das Geschehen. Ihren Dresscode erfüllt sie mit sehr reizvollen schwarzen Hotpants aus Leder und schwarzen Hosenträgern, die über Kreuz laufen und mit Metallringen versehen sind. Darunter trägt sie lediglich ein durchsichtiges Netzshirt, das ihre winzigen, rötlichen Brustwarzen durchschimmern lässt. Ihre Füße stecken in extrovertierten Doc Martens. Sie wirkt wie eine Mischung aus Martin Gores kleiner Schwester und Louise LeCavalier. Sie sieht wie immer anders aus als die anderen.
    Ich stelle mich neben sie. Sie hängt sich bei mir ein und drückt ihren Kopf gegen meinen Oberarm.
    Die Szenerie wird beherrscht von einer brünetten Frau, die an eine mittelalterlich anmutende Konstruktion gefesselt ist. Ihr nackter Hintern ragt in die Luft und wird von einem Folterknecht gepeitscht.
    Ein Dutzend Männer und Frauen stehen um sie herum, rauchen Zigaretten, nippen an Drinks und beobachten sie mit unterkühlten Minen. Sie ist der Superstar ihres eigenen Pornos. Jetzt, hier, in diesem einen Moment. Und dem nächsten. Und dem nächsten. Die Hiebe der Lederpeitsche landen pathetisch auf ihrem Hintern, als wäre es eine politische Demonstration.
    »Kennst du sie?« frage ich Evelyn.
    Sie schüttelt den Kopf, deutet mir aber an, sich etwas vorzubeugen, damit sie mir leichter ins Ohr schreien kann.
    »Robert«, ruft sie. Ich erinnere mich an ihr Fotoalbum.
    Aus den Lautsprechern dröhnt das vertraute »Being Boiled«, während von Roberts Stirn Schweißtropfen auf den Rücken des gefesselten Mädchens fallen.
    Ich fühle mich wie ein Sterblicher unter Werwölfen. Nicht ganz so, wie ich mich fühle, wenn ich eine Bank betrete, doch ähnlich genug, um das hier nicht jeden Tag machen zu müssen.
    Robert ist offensichtlich ein Dom mit Renommee. Er ist Mitte vierzig, etwas beleibt und recht maskulin. Gekleidet ist er mit einer schwarzen Lederhose und einem schwarzen Seidenhemd. Sein Kopf ist kahlgeschoren, wohl vor allem um über den nur noch spärlichen Haarkranz hinwegzutäuschen. Er trägt einen strengen Dreitagebart. Auf seinen Fingern stecken zahlreiche Stahlringe.
    Ich stelle mir Evelyn und ihn vor. Wie er sie züchtigt und seinen Schwanz in sie reinsteckt. Eine zwanzig Jahre jüngere Sub in die Finger zu kriegen, muss ihm ziemlich gefallen haben. Wie es wohl wäre, ihm mit einem Vorschlaghammer mitten ins Gesicht zu schlagen?
    Zwischen zwei Streichen entdeckt uns Robert in der Ecke des Raums und wirft Evelyn mit dem Charme eines tropischen Diktators ein Lächeln zu.
    Ein perverser Teil von mir beginnt langsam Gefallen zu finden an dieser bühnenartigen Lebensart. So müssen sich vor drei Jahrhunderten Aristokraten gefühlt haben: auch nur Menschen, die urinierten und Kot ausschieden — und selten mehr als das zum Lauf der Dinge beitrugen — und doch trotzdem nie aus der Rolle fielen. Aufgesetztheit ist nur unerträglich, wenn sie ein einzelner in der Gruppe zur Schau trägt. Wenn alle aufgesetzt sind, wird das zur Avantgarde und später zum Trend.
    »Ich tanze lieber in der Öffentlichkeit. Den Arsch versohlen lasse ich mir nur noch privat«, raunt mir Evelyn zu und zieht gelangweilt an ihrer Zigarette.
    Unauffällig, mit beiläufiger Miene, machen wir uns aus dem Staub und kehren in den großen Saal zurück, wo inzwischen ein beachtlicher Tumult auf der Tanzfläche entstanden ist. Vorbei an all den hüpfenden Leder-Krähen und wandelnden Dildos bahnen wir uns unseren Weg zur Bar.
    Wir bestellen noch eine Runde Getränke.
    »Lange halte ich es hier nicht mehr aus«, meint Evelyn. Ich rätsele, ob die Begegnung mit Robert irgendeine Wirkung auf sie hat. Aber sie mutet nicht melancholischer an als sonst.
    Vorbeigehende Leute schütteln Evelyns Hand oder küssen sie auf die Wangen. Wenn sie mehr Sinn für diese Dinge hätte, könnte sie einen ganzen Hofstaat haben, der sie auf den Händen durch die Stadt trüge. Doch statt dessen lächelt sie nur freundlich und lässt sich auf keine langen Konversationen ein. Das ist hier ohnehin schwer. Einige Dezibel weniger würden uns vermutlich nicht minder taub machen.
    Plötzlich taucht Robert auf. Seine »Performance« ist anscheinend zu Ende, der Schweiß abgetrocknet. Er küsst Evelyn eine Sekunde zu lang auf die Lippen und wendet sich mir zu. Bevor er mir die Hand

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