In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
Geistesschwachen.
Hasse ich den Menschen? Habe ich keine Hoffnung für die Menschheit?
Zugegeben — in jenem Augenblick, in dem ein fünfhundert Kilometer breiter Asteroid brennend in die Atmosphäre der Erde einbricht, werde ich einzig auf dem Hügel stehen, der einsame Narr, tanzend und frohlockend, über das winzige Stück Gerechtigkeit in einer vergessenen Ecke des Kosmos.
Doch der Mensch ist da.
Ich kann ihn sehen, sogar durch die Schleier endloser Missetaten und durch all die Masken seiner Gier und Idiotie.
Dieses seltsame Geschöpf auf einer Reise ohne Anfang, doch mit einem Ziel.
Dieses einzigartige Wesen, fähig der einen Sache, die kein Geld kaufen und uns kein Lügner und Produktschacherer liefern kann: der Liebe.
Sollte es sie wirklich geben, dann ist sie das einzige KO-Kriterium auf dem Aufnahmeantrag in die Hölle, in der wir alle für Ewigkeiten brennen sollten.
2.05 Riten
Der Abend in Danglars verläuft wie ein seltsamer zugespitzter Traum. Die Party trägt den psychedelisch anmutenden Namen »Xetal Re-Drum« und ein Außerirdischer könnte sie leicht mit einem meiner Albträume verwechseln. Doch die Anwesenden empfinden sie keineswegs als Hölle. Für sie ist die Party ein dunkles Paradies. Alles riecht hier nach Leder, Latex, Haarspray und jedem nur erdenklichen Parfum. Der Geruch von Patschuli liefert sich seine Schlachten mit Bergamotte, Jasmin und Moschus. Kenzo gegen Calvin Klein. John Galliano gegen Christian Dior. Paco Rabanne gegen Hugo Boss. Und dazwischen die Duftschwaden aus Pheromon, Schweiß und Zigarettenrauch. Die chemische Formel für den Exzess.
Der DJ steht oberhalb der Menge auf einer Plattform. Er trägt eine Ledermaske mit einem Reißverschluss über den Mund. Unentwegt steckt er durch diesen Schlitz die Zunge raus und verhöhnt das Publikum. Aus den Lautsprechern dröhnt raubeiniger House, kalter Techno und trotziger EBM. Die Musik ist etwas gestrig. Doch das liegt daran, dass der Altersdurchschnitt bei den SM-Freaks deutlich höher ist als auf der Love Parade.
An diesem Abend sehe ich den tieferen, tribalen Sinn einer Kleiderordnung. Ich bin umgeben von Hunderten Menschen in Kostümen aus Leder oder Latex. Indiskrete Kleidung deren Aufgabe darin besteht, die darunterliegenden Tätowierungen und Piercings zu offenbaren. Die ätherisch bläulichen aus Niob, die protzig schimmernden aus Gold, die massiv kalten aus Edelstahl. Für einen Abend kann sich hier jeder fühlen wie Shane Munce, wie Midori, wie Dita Von Teese.
Ich sehe mich um, während ich in meiner fabrikneuen Montur mit der Umgebung verschmelze. Mimikry aus Kunststoff. Polymererotik. Polierter Stahl. Je auffälliger man hier gekleidet ist, desto mehr vereint man sich mit der Masse.
Meine Uniform wird dominiert durch eine sagenhaft teure schwarze Lederjacke von Prada, im Husarenschnitt. Ein knappes Kleidungsteil, das die nackte Brust darunter freilegt. Freddie Mercury hätte sie geliebt. Meine Füße drücken ziemlich dank der neuen Dockers. Die neue schwarze Lederhose von Diesel kneift im Schritt. Etwas sagt mir, dass heute Abend meine Kleidung deutlich mehr wert ist, als mein Leben. Für kurze Zeit bin ich nun ein Teil dieser Kommunität. Niemand hinterfragt das.
Verglichen mit den meisten anderen hier, ist mein Kostüm dezent. Denn heute ist geschlossene Gesellschaft. Heute abend kleben sich die Frauen keine Pflaster in Form eines X über ihren Brustwarzen. Dafür gibt mir meine Kleidung einen reizvoll schwulen Anstrich. Immer wieder passieren mich Männer, die bemüht sind meinen Blick zu kreuzen und zu fixieren. Einige sehen aus wie eine Mischung aus Gefängniswärtern und SA-Schlägern. Ich muss dabei an Roman denken und frage mich, was er jetzt wohl sagen würde. Sicherlich wäre er stolz auf mich. Ich wünsche, er wäre nun hier.
Der DJ legt »Being Boiled« von The Human League auf und die steife Masse aus schwarzen Schaufensterpuppen auf der Tanzfläche beginnt langsam zu kochen. Ich halte mich an meinem White Russian fest und lasse meinen Blick neugierig durch den Saal schweifen. Ein großer Teil der Männer trägt gepiercte Nippel. Bei manchen hängen beachtliche Gewichte dran. Es gibt hier Frauen, die Klemmen an den Brustwarzen und an der Labia tragen, verbunden durch eine Silberkette. Die Menschen verändern sich schnell, wenn man draußen an die Tür ein Schild mit der Aufschrift »geschlossene Gesellschaft« hängt und einen bulligen Türsteher am Eingang platziert.
Abseits der
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