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In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

Titel: In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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diese ganze SM- und Polygamie-Geschichte über den Kopf. Da war ein kleiner Arzt in meinem Kopf, der manchmal versuchte, mit seiner dünnen Stimme so unmoderne Dinge wie zum Beispiel Gewissen oder Ehre anzusprechen. Ich habe diesen Stimmen in mir nie zu viel Bedeutung beigemessen. Der kleine Arzt in meinem Kopf hatte aber vielleicht Recht. Ich fühlte mich auf eine schwammige Art schuldig. Denn ich fragte mich, ob ich langsam verrohe und zu einem Schurken werde, der seine Lust aus dem Quälen von Mädchen bezieht. Der Patient wehrte das ab. Schließlich, sagte ich mir, bin ich kein balkanischer Scherge, der in zerbombten Kellern Frauen vergewaltigt. Aber sicher war ich mir nicht. War das nicht alles eine allegorische Spielart genau solcher Greueltaten? Bedeutete das alles nicht immerhin, dass ich auf jeden Fall eine größere Tendenz zur Bösartigkeit besaß? Aber Allegorien sind nur weitere Banalitäten, die wir ständig von uns geben, unwillig einzusehen, dass dasselbe Ding für den einen Fluch und für den anderen Segen bedeuten kann.
    Aber war dieser ewige Oberton des Gewissens, der in der hohlen Leere meines Wesens kleinlaut mitschwang nicht der endgültige Beweis dafür, dass ich bei allem, was ich tat, doch nur ein Fake war? Robert hörte sicherlich keine solchen Echos in sich.
    Ich dachte darüber nach, was mit einem Menschen wohl passierte, wenn er ausschließlich nach seinem reinsten Gewissen leben würde. Wird man es ihm überhaupt erlauben? Würde man diese Person nicht lieber an ein Kreuz nageln? Inmitten von Bayern? Eine Person, die sich weigern würde, Geld anzurühren und Zinsgeschäfte zu tätigen. Eine Person, die sich weigern würde, eine Waffe anzufassen und Autos zu fahren. Würde sie auf der Straße verhungern, weil sie nicht bereit war, ihre Seele zu verkaufen? Ich spreche nicht von einer Person, die mit all diesem Verweigern irgendwelche politischen Zeichen setzen möchte, sondern von einem Menschen, der es einfach nur nicht mit dem eigenen Gewissen vereinbaren kann, so zu leben, wie wir leben. Wehe dem Menschen, der kein Heuchelei- und Wegschau-Gen in sich trägt.
    Paul Lichtmann sagt: Die meisten Menschen sind zufrieden, wenn sie dreimal am Tag Fleisch essen, genug Geld haben, um sich nutzlose Produkte aus Plastik zu kaufen, und wenn sie sich am Lärm eines Verbrennungsmotors berauschen können. Der kleine, beratende Arzt in meinen Kopf mag mal vor 20.000 Jahren eine gute Erfindung gewesen sein, doch das war bevor wir eine Welt aus Versicherungspolicen, Abschreibungsmodellen und Aktien entworfen haben. In dieser Welt, die systematisch zwischen Wölfen, Hyänen und Schakalen aufgeteilt wird, wirkt das gute Gewissen wie ein Jugendstilgebäude inmitten einer Erdölraffinerie.
    Es heißt: wir gestalten den Markt. Und der Markt regelt alles.
    Aber vielleicht regelt der Markt nichts. Vielleicht regelt nur der Tod alles.
    Unter diesem Gesichtspunkt erschien mir mein Handeln durchaus reizvoll. Denn es fühlte sich als etwas vollkommen neues an. Als wäre ich auf eine Party gekommen, auf der nur Leute wie Dionysos, Marquis de Sade und Aleister Crowley rumhängen. Ich entfremdete mich der bekannten Welt und tauchte in ein eigenes Universum ein, das zum Teil meine Regeln befolgte, doch zum großen Teil aus neuen, vollkommen unbekannten Spielregeln bestand. Ich hatte mein Geld lieber im Gefrierfach, als auf einer Bank.
    »Deine Welt ist einfach nicht meine Welt«, sagte ich, während ich meinen Arm um sie legte. Langsam traten wir den Weg zur Hauptstraße an. »Meine Motive waren, dich besser zu verstehen. Aber ich habe nie aufgehört, mich dabei etwas unwohl zu fühlen. Doch wenn ich mit dir zusammen bin, vergesse ich die Welt um uns sofort.«
    »Ist das wahr?« fragte sie leise. »Hast du das alles nur mitgemacht, um mich besser zu verstehen?«
    Es war die Wahrheit. Ein Teil der Wahrheit. Nicht genau das Kernstück, doch durchaus wahr genug. Ich war ein Reisender. Nicht im wörtlichen Sinne. Es waren Inseln, die ich betrat und Inseln, die ich wieder verlassen musste. Und ganz gleich, wie froh mich die Ureinwohner begrüßten, wie sehr sie Girlanden aus Blumen um meinen Hals legten — ich wusste stets, dass ich niemals einer von ihnen werden konnte. Ich weiß schon am Tag meiner Ankunft, dass ich eines Tages weiter ziehen muss. Und Evelyn? Sie war keine Reisende, so rastlos sie auch sein mochte. Sie war eine Insel. Und ihre Augen, ihre Gedanken und ihre lockende Stimme glichen den Ureinwohnern.
    »Du

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