In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn
Eingangstrakt. Dort bleiben wir stehen.
»Ich habe mit Robert sieben oder acht Sitzungen gemacht«, erklärte sie. »Beim letzten Mal ist er zu weit gegangen. Da habe ich gesagt: Das war´s. Nie wieder.«
Ich überreiche der Garderobiere unsere Nummernzettel und verhelfe Evelyn in ihren langen Mantel.
»Was ist denn passiert?« frage ich sie. »Was heißt zu weit gegangen?«
Wir spazieren langsam zum Ausgang. Vorbei an dem gelangweilten Türsteher und hinaus in die nächtliche Kühle.
2.06 Porno
»Das Szenario war nicht einmal besonders originell«, fuhr sie draußen fort. »Er hatte mich wie jedes Mal angekettet und bearbeitet. Robert verbindet das meistens mit dem Ficken. Zwanzig, dreißig Streiche, dann in gleicher Lage etwas rammeln. Und wieder zurück zur Gerte. Nicht unbedingt meine Idealvorstellung, da ich das lieber deutlicher trenne, aber OK. Ich habe das akzeptiert, weil ich fand, dass er auch auf seine Kosten kommen sollte. Doch dieses Mal war alles anders.«
Ich wartete geduldig.
»Robert hatte einen Freund in der Wohnung versteckt. Mir hatte er die Augen verbunden und laute Musik angemacht. Das tat er oft. Ich dachte, dass es sein Schwanz sei, den ich in mir hatte. Aber es war in Wirklichkeit der seines komischen Freundes. Er hat nicht einmal einen Gummi verwendet...«
»Perfide«, rief ich aus, wie alle Menschen, die außerstande sind, die Tragweite einer Tat einzuschätzen. »Das ist doch eine reine Vergewaltigung!«
»Ich habe trotzdem keine Lust, die Geschichte einem Rechtsanwalt oder Polizist zu erzählen. Und was kann ich schon beweisen?«
Ich war sprachlos und zugleich voller Abscheu gegenüber Robert. »Ich verstehe nicht, wieso du ihn noch küssen kannst, als wäre er dein bester Freund!«
Evelyn seufzte und wickelte sich dichter in ihren Mantel. Die
Hitze des Clubs war aus unseren Körpern längst entwichen. Ich legte meinen Arm um sie.
»Ich weiß es nicht. Robert hat zugleich so viel für mich getan. Als wir uns kennenlernten, war ich ständig voller Tabletten und Koks. Ich war ziemlich abgebrannt und eine Freundin von mir hat mich wochenlang überredet, mit ihr anzuschaffen. Ich weiß nicht, was in meinem blöden Schädel zu dieser Zeit vor sich ging, aber irgendwann gab ich nach.« Sie schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn. »Ich hatte mich mit Tabletten vollgepumpt, mich mit Lydias Hilfe wie eine Nutte aufgedonnert, grell geschminkt und in diese beschissenen High Heels reingezwängt. Es war vollkommen lächerlich.«
Ich bemerkte eine Träne auf ihrer Wange und wollte sie wegwischen, doch sie wandte nur trotzig den Kopf zur Seite, als wünschte sie nicht, dass ich nett zu ihr war. Sie rieb sich die Tränen mit dem Ärmel ihres Mantels weg.
»Als wir in die Bar reinkamen, sprach mich dort nach paar Minuten ein Typ an. Es war Robert. Statt übers Geschäft zu reden, kamen wir immer mehr ins private Gespräch. Am Ende flehte er mich an, einen Rückzieher zu machen. Er versprach mir, alles dafür zu tun, dass ich das nicht nötig hatte.«
Ich schwieg. Es wäre auch zu einfach für diese beschissene Welt, jemanden dafür zu hassen, dass er ein Drecksschwein ist. Es musste natürlich der Held des Tages sein, der sich meine Abscheu zuzog.
»Er besorgte mir die ersten Tanzauftritte, und zu Weihnachten schenkte er mir die Boombox zum Üben. Er stand mir bei, damit ich von den Drogen fernblieb. Er nannte mich seine einzige gute Tat ...«
Sie fing zu schluchzen an. Ich umarmte sie und wir schwiegen. Die Nacht schien um uns zu erstarren, gesäumt von den kalten Lichtsäulen der Straßenlampen. Die kühle Luft roch nach Industrie und Schmiermitteln. Das blasse Licht der Halogenscheinwerfer im Hafen ließ Evelyns Haut metallisch erscheinen. Vorbei an ihren Haaren sah ich die Hausfassaden von Altona und dachte daran, dass in jedem dieser unzähligen beleuchteten Fenstern sich ähnliche Geschichten, ähnliche Tragödien abspielten. Dankbarkeit, nur eine sanfte Berührung entfernt von Prostitution. Freizügigkeit, nur einen Hauch entfernt von Vergewaltigung. Alltägliche Selbstgefälligkeit, nur durch einen dünnen Schleier getrennt von exzessiver Gewalt.
Das verstörende Geräusch einer Schiffssirene riss sie schließlich aus ihrer Agonie.
Sie wand sich sanft aus meiner Umarmung heraus und küsste mich. Dann trat sie selbstbewusst einen Schritt zurück und trocknete verschämt ihre Tränen.
»Ich hasse es zu weinen«, sagte sie und hustete.
Schweigend drückte ich sie an
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