In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
neuen Fitnesstechniken getüftelt wird. Starrett erstellt Anleitungen und Erklärungen, die nur so strotzen vor Kreisdiagrammen und Flowcharts. Immer geht es dabei um die »Komplexität des Entwicklungsprozesses«, den ein CrossFitter im Übergang vom Anfänger- zum Fortgeschrittenenlevel durchläuft. Diese grundsätzlichen Überlegungen überführt Starrett dann beispielsweise in Methoden, mit denen man einen Sportler nach einer Operation wieder gesund und fit macht. Er nennt dieses Konzept die »Hierarchie der Bewegung«. Im Archiv des CrossFit Journal gibt es Dutzende von Lehrvideos, in denen Starrett das herkömmliche Vorgehen von Sportkliniken kritisiert und wie sie den Patienten das Geld aus der Tasche ziehen. Er ist der festen Überzeugung, dass »alle Menschen in der Lage sein sollten, einfache Wartungsarbeiten an ihrem Körper selbst durchzuführen«.
Tja, und nun war ich hier und fest entschlossen, diese Überzeugung Starretts auf die Probe zu stellen.
Ich hatte mich darauf eingestellt, ihm einen ausführlichen Bericht über den aktuellen wie auch früheren Zustand meines Knies zu geben, und hatte mir genaueste Erklärungen zurechtgelegt, unter welchen Umständen ich mir die Verletzung zugezogen hatte, wann und wo sich der Schmerz jeweils bemerkbar machte und vieles mehr. Ganz nebenher wollte ich ihm dadurch auch zeigen, wie verzweifelt ich war. Das war meine übliche Vorgehensweise, wenn ich einen Arzt oder Physiotherapeuten wegen einer Verletzung zum ersten Mal aufsuchte.
Starrett gab mir allerdings gar keine Gelegenheit, meinen kleinen Vortrag zu halten. Zuerst verlangte er von mir, dass ich mich in einem etwas mehr als schulterbreiten Stand auf eine Gummimatte stellte, die auf dem Boden des SFCF ausgelegt war. Das SFCF ähnelt einer getarnten Einsatzbasis, wie man sie in einem Kriegsgebiet erwarten würde. Ich blickte auf ein großes Whiteboard mit verschiedenen Kritzeleien darauf, darunter Bestzeiten, Informationen zur Met-Con und Zeichnungen von Strichmännchen mit Pfeilen, die auf Gelenke und Körperachsen hinwiesen. Die Ausrüstung, die mich umgab, passte zu diesem Eindruck: eine Vorrichtung aus Metall, die wie ein Klettergerüst aussah, eine Glute-Ham-Bank, ein großer Bierkrug, ein Grill und ein runder Betonklotz. Starrett bat mich, in die Hocke zu gehen – also eine Kniebeuge zu machen –, und zwar so tief wie möglich. Während ich seiner Aufforderung nachkam, beobachtete er, wie sich meine Knie bewegten. Auf diese Weise erfuhr er so ziemlich alles, was er über meine Knie wissen musste – die Stellung von Ober- und Unterschenkel zueinander, die Haltung meiner Wirbelsäule und wie tief ich mich absenken konnte.
Wozu Kniebeugen?
Die Kniebeuge spielt im CrossFit-Universum eine zentrale Rolle und Starrett gehört zu jenen Fachleuten, deren Wissen über Bewegung und biomechanische Zusammenhänge die Weiterentwicklung von CrossFit maßgeblich beeinflussen. Auch Greg Glassman misst der Kniebeuge große Bedeutung bei. Im Archiv des CrossFit Journal gibt es ein frühes Video, das zeigt, wie Glassman in einer Klinik Kniebeugen unterrichtet.
Glassman argumentiert, dass die Fähigkeit, korrekte Kniebeugen auszuführen, eine wichtige Voraussetzung für ein erfülltes Leben als mobiler Mensch ist. Die Kniebeuge, ob mit oder ohne Zusatzgewicht, ist laut Glassman das Musterbeispiel einer funktionellen Bewegung. Als solche sei sie der isolierten Aktivierung einzelner Muskeln, wie sie in herkömmlichen Fitnessstudios praktiziert wird, haushoch überlegen. Bei der Ausführung einer Kniebeuge müssen mehrere Gelenke perfekt zusammenspielen und es wird ein umfassendes motorisches Bewegungsmuster abgerufen. Die Kniebeuge aktiviert Muskelgruppen im gesamten Körper und macht es dadurch möglich, eine große Last über eine gewisse Entfernung hinweg effizient zu transportieren. Eine Beinstrecker-Maschine hingegen trainiert ausschließlich die Muskeln der Beinvorderseite; sie ist daher ineffizient, wenn nicht gar unnatürlich, und verbessert nicht die Fähigkeit, eine Last auf kraftvolle oder schonende Weise zu bewegen.
Eine der gängigsten Warnungen in der Welt des Krafttrainings lautet, man solle bei einer Kniebeuge oder an einer Beinpresse das Knie niemals bis zu einem Winkel unter 90 Grad beugen. Dadurch verschleiße man seine Knie und sei bald reif für eine Operation. Glassman findet diese Warnungen albern und meint ganz im Gegenteil, dass die Hüften bei Kniebeugen eben nicht auf Kniehöhe verbleiben,
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