In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
Ballettstunde, die ich jemals in meinem Leben genossen hatte, 1984 an der University of Iowa, als mir ein ehemaliger Tänzer des Joffrey Balletts den grand plié zeigte. Er hatte mich mit einem rosa Ballettschuh geschlagen, um meine Haltung zu korrigieren. Starretts Methode, meinen Bewegungsablauf zu korrigieren, war da ein wenig anders. »Wenn du patzt, spendierst du mir ein Bier«, sagte er. Dabei war ich kaum in der Lage umzusetzen, was er von mir verlangte – und hatte noch nicht einmal eine Hantel auf meinen Schultern.
Vollgas, Vollbremsung
In dieser ersten Stunde mit Starrett lernte ich quasi im Schnellverfahren seine Philosophie kennen. Nachdem er meine Kniebeugetechnik verbessert hatte, gingen wir in seine Physiotherapiepraxis, wo er damit fortfuhr, den Bewegungsumfang meiner Knie zu testen. Ich sollte mich flach auf den Tisch legen und meine Beine strecken und beugen. Dann übte er zusätzlichen Druck aus, um zu sehen, wie stark ich meine Beine anwinkeln konnte. Mein rechtes Knie hatte verglichen zum linken einen deutlich eingeschränkten Bewegungsumfang.
»Reicht dir das?«, fragte er.
»Äh … nein.«
Das war eine Frage, die ich mir niemals gestellt hatte. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass ich mein rechtes Knie nicht mehr gut bewegen konnte. Starrett ging dann zum Beistelltisch und nahm den einzigen Gegenstand in die Hand, der in seiner Container-Praxis bereitlag. Er hielt das Ding in die Höhe und sagte: »Hundespielzeug.« Daraufhin begann er, meine Kniescheibe damit zu bearbeiten, was so aussah, als würde er eine Bierflasche öffnen. Kein Ultraschall, kein Reizstrom. Nur ein Stück Gummi für drei Dollar, das er in einer Zoohandlung erstanden hatte.
»Ich bin mal nach Mexiko gefahren, habe mir dort ein Auto gemietet und damit Schindluder getrieben, indem ich Vollgas/Vollbremsung spielte«, erzählte er. »Ich trat das Gaspedal voll durch und regulierte meine Geschwindigkeit nur, indem ich mal mehr, mal weniger auf die Bremse ging. Peng! Drehzahl bis zum Anschlag. Ich rechnete schon damit, dass das Auto in die Luft fliegen würde. Also fuhr ich zurück ins Hotel, stellte die Karre ab und es kam ein Mann herausgelaufen, der ›Señor!‹ sagte und dabei auf den Hinterreifen zeigte, der in Flammen aufgegangen war. Wenn man als Läufer eine extrem verspannte Hüftmuskulatur hat und außerdem der Gleitfilm auf den Gelenkflächen – vor allem im Knie – unzureichend ist, dann ist das so, als würde man Vollgas geben und gleichzeitig auf die Bremse treten. So wie ich in Mexiko. Und dann qualmt’s eben irgendwann im Knie.«
Starrett legte mir anschaulich dar, dass mein Knie deshalb so brannte, weil mein Körper es praktisch ausgeschaltet hatte, um mich davon abzuhalten, es weiter zu benutzen. Und er ließ mich wissen, dass es nun meine Aufgabe war, mich darum zu kümmern. Selbstverständlich, sagte er, müsse man einen Arzt aufsuchen, wenn man einen seltsamen Schmerz spürt – um auszuschließen, dass es sich um eine akute Verletzung oder ein Symptom für eine Krankheit handelt, die sich auf diese Weise äußert. Aber sobald dieser Verdacht ausgeschlossen ist, kann man die Sache selbst in die Hand nehmen.
»Wenn man sich in den Finger schneidet, weiß man, was zu tun ist – man säubert die Wunde und deckt sie mit einem Pflaster ab. Warum soll man mit seinem Muskelgewebe nicht ähnlich verfahren? Man kann sich sehr wohl so um seinen Körper kümmern, dass das Verletzungsrisiko sinkt und die Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten bleibt. Zack! So reißt man die Weltherrschaft an sich.«
Er zeigte mir zwei Dehnübungen und empfahl mir, sie oft auszuführen. Ich sollte jede Dehnung zwei Minuten lang halten. Bei einer Übung musste ich mich in den einbeinigen Kniestand begeben und den hinteren Unterschenkel anziehen. Darin zwei Minuten zu verharren war mein erster Kontakt mit dem »Tunnel des Schmerzes«, wie Starrett es nannte. Aber als ich wieder aufstand, fühlte sich die Vorderseite meines rechten Oberschenkels im Verhältnis zum Knie ganz anders an. Der Hüftbeuger war deutlich entspannter. Starrett ließ mich auch die Wadenmuskeln lange und intensiv dehnen. Später erfuhr ich, dass diese Übungen für die Wade und den Hüftbeuger ein konkretes Beispiel für Starretts Arbeitsweise darstellten: Er rät seinen Sportlern immer, die Bereiche oberhalb und unterhalb der Problemzone zu bearbeiten.
Meine erste Übungseinheit mit Starrett dauerte nur eine Stunde. Vor diesem
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