In der Brandung
lief dann wieder zu Fuß zurück zu seiner Wohnung. Er dachte, er hätte die Strecke abmessen sollen, die er zurücklegte, und gleich darauf fragte er sich, warum er das hätte tun sollen.
Da fiel ihm wieder der Satz von Louis Armstrong ein. If you have to ask what Jazz is, you’ll never know.
Von Zeit zu Zeit kontrollierte er sein Handy, um zu sehen, ob jemand angerufen hatte. Diese Geste war absurd, denn er wurde so gut wie nie angerufen, auch an diesem Sonntag nicht. Und doch fand er, dass diese Geste einen Sinn hatte. Worin dieser Sinn bestand, war wieder eine andere Frage.
Der Nachmittag und der Abend vergingen zwischen Fernseher und Computer.
Er sah sich noch einmal einige der Videos an, die er vor ein paar Tagen entdeckt hatte, vermied jedoch die Mineralwasser-Reklame. Er fand noch weitere, darunter Ausschnitte aus Theaterstücken, in denen Emma ganz anders aussah.
Auf einmal überkam ihn das unangenehme Gefühl, den Computer wie ein riesiges Schlüsselloch zu benutzen, durch das er ungestört spähen konnte. Er hatte den Eindruck, in einen Raum einzudringen, zu dem der Zugang nur mit Erlaubnis der Betroffenen genehmigt sein sollte.
Diese Wahrnehmung war ihm unangenehm, und so brach er die Internetverbindung brüsk ab, fuhr den Computer herunter, nahm seine Tabletten und ging schlafen.
9
Am nächsten Morgen wachte Roberto sehr früh auf, noch bevor es hell wurde. Nach einem vergeblichen Versuch, wieder einzuschlafen, nahm seine innere Unruhe zu, und er stand auf, zog sich an, aß ein paar Kekse, trank ein Glas Milch und verließ das Haus, wobei er sich beeilte, als habe er eine Verabredung und sei zu spät dran.
Er nahm die Via Panisperna, bog in die Via Milano ein, war dann gleich auf der Via Nazionale und umrundete die Piazza Esedra so schnell, dass er beinahe rannte. Er erreichte Porta Pia, überquerte den großen Platz, und erst als er sich auf der Via Alessandria wiederfand, fiel ihm auf, dass er in der Nähe der Praxis war. Wo er jedoch erst in etwa acht Stunden erwartet wurde. Da beschloss er, das rasende Tempo seiner Tour zu drosseln, ging noch eine halbe Stunde gemäßigten Schrittes weiter und gelangte so in den Park von Villa Ada.
Das Erste, was ihm auffiel, war ein Brunnen neben dem Eingangstor, der dem Brunnen glich, den er vor ein paar Tagen bemerkt hatte. Diese Entdeckung erfüllte ihn mit Freude.
Er müsste jetzt eigentlich müde sein, dachte er, doch stattdessen verspürte er ein Übermaß an Energie, etwas, das er freisetzen und loswerden musste. Er kletterte einen kleinen Abhang hinunter und sah sich vorsichtig um, ob ihn jemand beobachtete. Auch wenn der Park fast leer war, gab es doch den einen oder anderen Passanten. Ach was, sagte er sich, alle kommen hierher, um Sport zu treiben, und machte ein paar Liegestütze.
Er hörte erst auf, als er mit dem Gesicht nach unten auf den Boden sank. Als sich wieder aufrichtete, zitterten seine Arme, und er konnte sein Keuchen kaum unterdrücken.
Ein älterer Herr mit einem Schäferhund an der Leine sah ihm besorgt zu. Es gab noch andere Leute, die hier Sport trieben, aber die trugen alle Trainingsanzüge und Turnschuhe. Jemand, der in Jeans und Blouson Liegestütze machte, war zumindest eine ungewöhnliche Erscheinung. Als der Besitzer des Schäferhunds merkte, dass Roberto ihn wahrnahm, sah er weg. Roberto folgte einem Impuls und ging zu ihm hinüber. Als er kurz vor ihm stand, sprach er ihn an.
»Guten Morgen«, sagte er freundlich, immer noch bemüht, nicht zu schwer zu atmen.
»Guten Morgen«, sagte der andere verwundert. Der Hund beobachtete aufmerksam die Szene.
»Schäferhunde sind meine Lieblingshunde«, sagte er. Der ältere Herr wirkte erleichtert.
»Meine auch. Ich habe Schäferhunde seit meiner Kindheit. Sie sind die besten.«
»Ihrer dürfte zwischen drei und vier Jahre alt sein.«
»Sie kennen sich aus. Er ist genau dreieinhalb.«
»Macht er Ihnen keine Schwierigkeiten, wenn Sie ihn ausführen?«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich ein alter Mann bin und er mich mitreißen und zu Fall bringen könnte?«
»Nein, das meinte ich nicht, nur …«
»Keine Sorge, die Frage ist durchaus berechtigt. Ich bin einundachtzig, und wenn er mich zu Fall bringen wollte, könnte er das ohne Weiteres.«
»Aber das tut er nicht.«
»Nein, das tut er nicht. Er ist ein sehr gut erzogener Junge.«
»Haben Sie ihn so gut erzogen?«
»Ja. Als ich jung war, habe ich in meiner Freizeit Hunde abgerichtet. Ich war ziemlich gut darin, ich
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