In der Brandung
gewöhnte ich mich an die Tattoos. Sogar an ACAB. Der Ausspruch ist in gewisser Weise ja durchaus wahr.«
Der Doktor kommentierte das nicht und sah auf die Uhr.
»Ist unsere Zeit abgelaufen?«, fragte Roberto.
»Wir haben noch ein paar Minuten.«
»Ich habe das Gefühl, alles dreht sich um mich herum.«
»Und vorher?«
»Vorher stand alles still.«
»Dann würde ich sagen, dass das eine gute Nachricht ist.«
Roberto hätte ihn gern gefragt, warum er diese Nachricht gut fand. Aber er tat es nicht und ließ stattdessen seinen Blick durchs Zimmer schweifen, bis er an dem Louis-Armstrong-Poster hängen blieb.
Da verstand er, warum es besser war, nicht weiterzufragen: Wenn man dir etwas Wichtiges erst erklären muss, wirst du es vermutlich nie verstehen.
Giacomo
Eine Woche lang lag ich mit Grippe im Bett. Ich bin eigentlich ganz gern krank, denn dann muss ich nicht zur Schule und kann lesen, so viel ich will, ohne mich mit Hausaufgaben herumschlagen zu müssen.
Lesen ist vermutlich meine Lieblingsbeschäftigung, und wenn ich unbedingt sagen soll, was ich später einmal werden will, sage ich immer: Schriftsteller. Wenn ich ehrlich bin, würde ich es schon früher werden, noch bevor ich erwachsen bin. Mein Vorbild ist Christopher Paolini: Er hat seinen ersten Roman – Eragon , ich habe ihn zwei Mal gelesen – mit fünfzehn begonnen.
Ich war also zu Hause und war krank. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich diese Woche geträumt habe, aber ganz bestimmt war ich nicht in dem Park, und das machte mir ein wenig Sorgen.
Als ich wieder in die Schule kam, erwartete mich eine Überraschung: Ginevra hatte meine Abwesenheit bemerkt. Als wir uns im Klassenzimmer über den Weg liefen, vor der ersten Stunde, sagte sie: »Ach, da bist du ja endlich wieder.« Ich suchte nach einer originellen Antwort, aber mir fiel nichts Besseres ein als: »Ich hatte Grippe, aber jetzt bin ich wieder ganz gesund.«
Das ärgerte mich ein wenig, aber ich war auch sehr froh, denn ihr war nicht nur meine Abwesenheit aufgefallen, sondern sie hatte auch als Erste das Wort an mich gerichtet. Kurz darauf hieß mich auch Cantoni willkommen, aber auf seine Art, mit einem Schlag in den Nacken.
Cantoni ist ein Idiot, er ist 1,70 Meter groß und hat den braunen Gürtel im Judo. Ich würde mich gern gegen seine Grobheiten wehren, aber ich bin nur 1,50 Meter und könnte ihn höchstens im Tischtennis schlagen, worin ich einigermaßen gut bin.
* * *
Diese Nacht bin ich in den Park zurückgekehrt. Diesmal geschah es auf andere Weise. Ich lag im Gras und schlief im Schatten eines Baumes, als Scott kam und mich weckte.
Ich weiß schon, es ist seltsam, wenn man im Traum ein Schläfchen macht, aber so war es nun einmal, und daran ist nichts zu ändern.
Komm, Chef, sie warten schon auf uns.
Er war schon auf dem Sprung, und ich musste rennen, um mitzukommen.
»He, Scott, warte doch. Nicht so schnell, wohin laufen wir eigentlich?«
Er antwortete nicht und trabte weiter.
»Wer erwartet uns denn?«
Immer noch keine Antwort. Ich wollte schon ungeduldig werden und lief schneller, um Scott einzuholen und ihn zur Rede zu stellen – war ich nun der Chef oder nicht? –, als ich mitten auf der Wiese eine Bank sah. Auf der Bank saß Ginevra. Scott war etwa zwanzig Meter davor stehen geblieben und hatte sich ins Gras gelegt.
Los, Chef, sie wartet auf dich.
Ich ging zur Bank, und Ginevra machte mir ein Zeichen, sich neben sie zu setzen.
»Dieser Cantoni ist wirklich ein Idiot«, sagte sie.
»Ach, der ist doch weiter kein Problem«, sagte ich, als wollte ich ihr bedeuten, dass ich Cantoni jederzeit vernichten könnte, wenn ich nur wollte, und nur deshalb darauf verzichtete, weil ich gegen Gewalt bin.
»Du weißt, dass ich einen Freund habe, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Hast du eine Freundin?«
»Ach, ich hatte mehrere, aber zur Zeit bin ich ganz zufrieden, allein zu sein«, log ich mit einem beiläufigen Ton.
»Ja, ich glaube, ich trenne mich auch bald von meinem Freund. Es gibt da einen anderen, der mir viel besser gefällt«, sagte sie und sah mir dabei in die Augen. Ich schluckte schwer und fand kein Wort der Erwiderung.
»Gibt es denn ein Mädchen, das dir gefällt?«
»Ach, eine, die mir ganz gut gefällt, gäbe es schon …«
»Ist sie hübsch?«
Ich dachte, ich sollte aufhören mit dem Unsinn und ihr die Wahrheit sagen: dass ich mich in sie verliebt hatte und dass wir keine Minute mehr verlieren sollten.
Als Mama mich weckte, sagte sie, ich
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