In der Brandung
der Dunkelheit, als er auf seinen Einsatz wartete, irgendetwas von den Dialogen berührt hatte.
»Sie interessieren sich fürs Theater?«
Da hatte er die Bescherung.
»Wenn ich ehrlich bin, kenne ich nicht viel. Aber das Wenige, was ich gesehen habe, hat mir gut gefallen. Pirandello zum Beispiel.« So, jetzt war es heraus. Jetzt würde sie ihn gleich fragen, was ihm an Pirandello so gut gefiel, und er würde keine Antwort wissen, würde blöd dastehen, und sie würde merken, dass er ein Aufschneider war.
»Ich habe in Wie du mich willst mitgespielt. Eine ganze Saison lang, auf einer Tournee durch ganz Italien«, sagte sie, und aus ihrem entrückten Gesicht schloss er, dass sie das lange vergessen hatte und sich erst jetzt plötzlich wieder daran erinnerte.
Roberto machte eine kaum merkliche Geste, um auszudrücken, dass er sehr genau wusste, wovon sie sprach. Er hoffte inständig, dass sie zu einem anderen Thema übergehen würde, und schwor, dass er sich noch am selben Abend auf Wikipedia mit Shakespeare, Pirandello und diesem Stück, das sie erwähnt hatte, vertraut machen würde.
»Was für Zeug man manchmal redet, wenn man sich zufällig über den Weg läuft«, meinte sie schließlich. Roberto atmete im Stillen auf.
»Jetzt muss ich los. In Wirklichkeit habe ich es immer eilig. Das nächste Mal erzählen Sie mir, was Sie so tun. Tschüss.«
Sie ging an ihm vorbei und wickelte sich den Schal um den Kopf. Sie hinterließ einen Hauch von Parfum. Roberto sah zu, wie sie um die Ecke bog und verschwand, dann betrat er das Haus.
10
Während er die Treppe hochging, sagte er sich, dass es keinen Zweifel gab: Emma musste auch eine Patientin des Doktors sein. Wenn Zufälle sich wiederholen, ist das zunächst ein Indiz und dann ein Beweis. Das war ein Satz, den ein Staatsanwalt, mit dem Roberto öfters zusammengearbeitet hatte, gern wiederholte. Auf den zweiten Blick war der Satz allerdings nicht mehr so tiefgründig und originell, wie es den Anschein hatte. Im Grunde war er es gar nicht.
Aus unerklärlichen Gründen versetzte ihn diese Überlegung in schlechte Laune.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Roberto?«
Natürlich hatte er es bemerkt. Roberto verspürte den kindlichen Impuls, ihm zu widersprechen.
»Nein, nein. Ich habe nur etwas geträumt, was mich beschäftigt.«
»Erzählen Sie es mir.«
Das hatte er nun davon. Es gab ja gar keinen Traum.
»Ich habe geträumt, ich würde einer Frau begegnen. Ich kannte sie schon vom Sehen, und die Begegnung fand an einem vertrauten Ort statt, aber ich konnte nicht genau erkennen, wo. Wir sprachen miteinander, sie nannte mir ihren Namen, und dann war sie weg, Nur ihr Parfum hing noch in der Luft, das ist doch ungewöhnlich für einen Traum, nicht wahr?«
Er staunte selbst, wie er die Geschichte hinbekommen hatte. Es war alles zugleich wahr und falsch, sagte er sich. Wie so vieles, im Grunde.
»In der Tat sind Gerüche in Träumen eher ungewöhnlich. Aber nicht ausgeschlossen. Wie hieß die Frau aus dem Traum denn?«
»Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, was sie sagte, aber es war, als stellten wir uns einander vor. Dann musste sie auf einmal weg, sie war in Eile.«
»Können Sie ihr Parfum beschreiben? Mochten Sie es?«
»Beschreiben könnte ich es nicht. Es war nur ein Hauch, und im Traum dachte ich, sie habe offenbar nur sehr wenig davon aufgesprüht. Aber doch, es gefiel mir gut.«
Warum verstrickte er sich in diesen Unsinn? Er hatte den Doktor noch nie angelogen, der womöglich gerade versuchte, diesen nicht existierenden Traum zu interpretieren. Was es wohl bedeutete, ein Parfum zu träumen? Und die Begegnung mit einer fliehenden Frau? Er fühlte sich schuldig.
Gleich darauf jedoch fragte er sich ein paar lange, bestürzende Sekunden lang, ob die Begegnung tatsächlich stattgefunden hatte. Die bloße Vorstellung ließ ihn schwindlig werden.
»Ist Ihnen das in der Vergangenheit auch passiert? Ich meine, Gerüche in Träumen wahrzunehmen?«
»Selbst wenn es passiert sein sollte, habe ich keine Erinnerung daran.«
Und jetzt wechseln wir bitteschön das Thema, dachte er.
»Wenn es neu für Sie ist, von einem Parfum zu träumen, dann würde ich sagen, dass es eine gute Nachricht ist. Ein weiterer Hinweis auf eine positive Entwicklung.«
Das menschliche Gehirn ist doch immer für Überraschungen gut. Es gab keinen Traum, und deshalb hatte der ganze Gedankengang keinen Sinn. Und doch: Als der Doktor meinte, dass es eine gute Nachricht gab,
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