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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Frau. Sie hatte ein Buch mit einem blauen Umschlag in der Hand und bat den dicken Mann, es für sie zu signieren. Der lächelte, nickte, nahm einen billigen Stift, den die Frau ihm hinhielt und der in seiner Hand lächerlich klein wirkte, und schrieb etwas auf die erste Seite. Die Frau bedankte sich, entschuldigte sich für die Störung und ging zurück zu ihrer Freundin, die in ein paar Metern Entfernung auf sie gewartet hatte.
    »Manchmal schreibe ich auch Bücher«, sagte der Mann etwas verlegen, als müsse er sich entschuldigen. Sie standen da, ohne etwas zu sagen. Der Zwischenfall mit der Frau hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Nach einer kleinen Weile brach der Journalist/Schriftsteller das Schweigen, verabschiedete sich – »freut mich, Sie kennengelernt zu haben« – und ging, so schnell es ihm sein Umfang erlaubte, in einen anderen Bereich der Buchhandlung.
    Roberto betrachtete den Umschlag des Buches, das er in der Hand hielt, und ging zur Kasse. Er fühlte sich auf angenehme Art fehl am Platz. Unbekümmert.

12
    Die Unbeschwertheit hielt nicht lange an und wich alsbald einem Gefühl innerer Leere. Euphorie und Depression wechselten sich ab. Darüber hatten der Doktor und er vor einiger Zeit gesprochen. Es konnte vorkommen, dass die beiden Gemütszustände sich ein paar Wochen oder sogar Monate abwechselten, während die Gesamtsituation sich besserte.
    Aber besserte sie sich wirklich?
    Als er am Donnerstagnachmittag zum Doktor ging, verfolgten ihn ziemlich düstere Gedanken.
    »Sind Sie in einer Buchhandlung gewesen?«
    »Ja, ich bin gleich nach unserer Sitzung hingegangen.«
    »Und, war es ein positives Erlebnis?«
    Roberto musste einen Moment überlegen. Positiv. Doch, schon, auch wenn seine Tagesform extrem schlecht war. Das waren zwei verschiedene Dinge.
    »Doch, kann man schon sagen. Ich habe einen Journalisten kennengelernt. In Wirklichkeit ist er auch ein Schriftsteller, wie ich festgestellt habe.«
    »Ein Schriftsteller? Welcher denn?«
    Roberto erzählte ihm von seinem Ausflug in die Buchhandlung und von der Begegnung mit dem Journalisten/Schriftsteller, dessen Namen er nicht mehr wusste – der Beschreibung nach glaubte der Doktor zu wissen, um wen es sich handelte, aber er sagte nichts –, und er zögerte nur einen kleinen Augenblick, als der Doktor ihn fragte, welches Buch er gekauft habe.
    »Eine Biografie von Shakespeare.«
    Falls die Erwähnung Shakespeares den Doktor irgendwie wunderte, gab er das jedenfalls nicht zu erkennen.
    »Der Besuch in der Buchhandlung hat Ihnen also gefallen.«
    »Ja, und ich bin ganz beschwingt nach Hause gekommen. Das hat einen Tag lang angehalten, aber gestern bin ich dann mit einem ganz schrecklichen Gefühl aufgewacht.«
    »Welcher Art?«
    »Traurig und angstvoll. Und zwar so stark wie in der ersten Zeit, in der ich zu Ihnen gekommen bin. Und seit gestern früh ist meine schlechte Laune immer schlimmer geworden. Ich dachte, es gehe mir besser, aber stattdessen habe ich Angst. Es kommt mir so vor, als hätte ich überhaupt keine Kontrolle über das, was hier drin abläuft«, sagte er und schlug sich ziemlich fest mit der Hand auf die Stirn.
    Der Doktor trug ein dunkles Baumwollhemd. Er atmete tief durch, krempelte die Ärmel über den schlanken, muskulösen Unterarmen hoch und räusperte sich.
    »Wir haben schon darüber gesprochen, und ich bin sicher, dass Sie sich daran erinnern. Diese Prozesse verlaufen nie linear. Man macht drei, vier Schritte vorwärts und dann wieder zwei zurück, dann wieder ein paar Schritte vorwärts, und so weiter. Die Rückwärtsschritte sind durch Angst vor Veränderung bedingt. Wenn man so lange mit dem Leid zusammenlebt, wird es ein Teil von einem selbst. Wenn es einem dann besser geht, wenn man beginnt, sich davon zu lösen, gerät man in widersprüchliche Stimmungen. Einerseits ist man froh darüber, andererseits vermisst man etwas, das Teil der eigenen Identität war und auch zu einer Art von Gleichgewicht beigetragen hatte. Das Schwanken zwischen Euphorie und Traurigkeit hängt damit zusammen. Es ist normal, es ist nichts, wovor man Angst haben müsste. Jedenfalls nicht mehr als die Angst, die man hat, weil man auf der Welt ist.«
    »Vielleicht ist genau das das Problem. Ich habe Angst, weil ich auf der Welt bin.«
    »Ich glaube, Sie sollten mehr Zuversicht haben. Wenn eine Situation besser wird, ich meine, sich verändert, dann spürt man die Erschütterung. Und dann ist es normal, dass auf ein paar Tage echter

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