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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Euphorie auch weniger euphorische Momente folgen. In der Fachsprache nennt man so etwas dysphorische Momente. Wenn sie einem widerfahren, ist dass ein wenig, als schlage eine Welle über einem zusammen. Die Grundregel ist dann, nicht panisch zu reagieren, sich nicht zu sträuben, was zwecklos wäre, und abzuwarten, bis es vorbei ist.«
    »Geht es denn vorbei?«
    »Fast immer. Sie müssten doch am besten wissen, wie es ist, wenn eine große Welle über einem zusammenschlägt.«
    »Man verliert vollkommen die Orientierung. Man weiß nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Man hat keine Kontrolle mehr über die eigenen Bewegungen und den eigenen Körper.«
    »Als wären die räumlichen Regeln außer Kraft gesetzt?«
    »Ja, genau. Als wären die räumlichen Regeln außer Kraft gesetzt«, wiederholte Roberto langsam.
    »Und wie kommt man da wieder raus?«
    »Man wartet ab, bis es vorbei ist.«
    »Genau. Das ist es. Manchmal, wenn die Welle besonders groß ist und der Sturz besonders heftig, kann man Hilfe gut brauchen.«
    »Ja. Ich habe es allerdings immer allein geschafft. Auch wenn es manchmal ganz schön schwierig war.«
    »Glauben Sie, dass Sie jede Welle bewältigt hätten?«
    »Nein, da haben Sie recht. Es gibt Fälle, in denen man sich helfen lassen muss. Und andere, in denen man trotzdem untergeht. Einem Jungen, den ich kannte, ist das passiert.«
    »Stimmt, das kann immer passieren. Zum Leidwesen derjenigen, die Hilfe leisten wollen.«
    »Jedenfalls ist es genau so, wie Sie gesagt haben. Wenn die Welle einen erwischt, muss man sich ihr anvertrauen, ohne in Panik zu geraten. Ein paar Sekunden später ist die Welt meistens schon wieder an ihren Platz zurückgekehrt.«
    »Wollen Sie mir noch etwas über das Surfen erzählen? Sie haben gesagt, dass Sie mit Ihrem Vater angefangen haben.«
    »Ja.«
    »War er gut?«
    »Als Surfer oder als Lehrer?«
    »Beides.«
    Roberto war verunsichert. Aus dem Gleichgewicht gebracht, so als hätte ihm jemand die Lehne weggezogen. Er suchte nach Worten. Er streckte die Hände aus, als suche er nach einem Halt.
    »Mein Vater … war gut. Alte Schule, aber sehr gut. Er hatte bei einigen großen Surfern von früher gelernt, Großwellensurfern. Leuten, die auch auf Hawaii gesurft hatten, an der North Shore, in der Waimea Bay.«
    Roberto unterbrach sich abrupt.
    »Ich nenne da Namen, die Ihnen gar nichts sagen.«
    Der Doktor machte eine abwehrende Geste mit den Händen, als wolle er sagen: Ist schon in Ordnung.
    »Und Sie? Waren Sie gut?«
    »Ich war ganz okay.«
    »Trifft dieser Ausdruck es genau? Ich war ganz okay? «
    Roberto sah ihn an.
    »Ich war gut. Ich war so gut wie mein Vater, und vielleicht hätte ich ihn sogar noch übertroffen, wenn ich nicht aufgehört hätte.«
    Der Doktor lächelte. Ein richtiges Lächeln, mit einer Spur Bitterkeit, so als wären sie alte Freunde, die bei einem Glas Bier zusammensaßen und von denen einer eine schöne Erinnerung ansprach, die beide verband; einer jener Gründe, wegen der sie sich als Freunde bezeichneten.
    »Ich habe einen Roman gelesen, in dem es unter anderem auch ums Surfen ging, und da war ein Satz, der mir zu denken gab. Er lautete mehr oder weniger so: Eine Sache ist es, auf die Welle zu warten, eine ganz andere, sich auf dem Brett aufzurichten, wenn sie kommt.«
    »Wer diesen Satz geschrieben hat, weiß, wovon er spricht. Wenn es so weit ist, erkennt man, dass der ganze Rest nur Mist ist. Entschuldigen Sie, Doktor, aber ich meine tatsächlich Mist. Das ist so ein Gefühl von Wahrhaftigkeit, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, so als würde auf einmal alles … alles scharf gestellt werden. Ein Gefühl von Schönheit, von Ganzheit, von Verschmelzung mit dem Rest der Welt. Wenn die Welle einen trägt, fühlt man sich als Teil des Ganzen, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will; und es ist, als bekäme alles auf einmal einen Sinn. Auf gewissen Wellen – Bergen aus Wasser, es sind richtige Berge – ist einem auf einmal alles egal. Man will nur noch wissen, wer man eigentlich ist. Nichts hat mehr Bedeutung, bis auf die Tatsache, dass man auf der Welle steht. In diesen Momenten herrscht vollkommene Harmonie, während man im Gleichgewicht zwischen Himmel und Meer schwebt, man steht beinahe still, während man in Wirklichkeit blitzschnell durch das Getöse von Wasser und Luft hindurchgleitet. Man durchquert die Welle genau an dem Punkt, wo man von den beiden Extremen gleich weit entfernt ist.«
    Roberto brach ab. Er war überrascht,

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