In der Bucht der Liebe
Weinberg mitzunehmen und mir zu zeigen, wo der Wein gelagert wird.“
„Du meinst sicher die Weinkeller.“
„Ja. Der Wein wird in Fässern gelagert, hat Dante gesagt.“
„Du bist ein gelehriger Schüler, scheint mir.“
Wenig später wurde das Mittagessen im Wintergarten serviert, wo man einen herrlichen Blick über die Weinberge bis in das weit unter ihnen liegende Tal hatte.
Schattierungen vom hellsten bis zum dunkelsten Grün beherrschten die malerische Landschaft. Es gab aber auch schon goldene und hellbraune Blätter, die den Herbst ankündigten.
Es war ein überwältigend schöner, ruhiger und friedlicher Ort, wie Taylor sich eingestand. Was für ein Gegensatz zu der Stadt mit der geschäftigen kosmopolitischen Atmosphäre, den vielen Menschen und dem lebhaften Verkehr.
„Im August gefällt es mir hier besonders gut“, verriet Graziella, an Taylor gewandt. „Die warme Luft, die vielen Stunden Sonnenschein, der strahlend blaue Himmel, das alles macht den Aufenthalt hier zu einem besonderen Erlebnis. Außerdem liegt wegen der bevorstehenden Weinlese eine gespannte Erwartung oder auch Vorfreude in der Luft.“
„Darf ich mir nach dem Essen die Katze mit den Jungen ansehen?“, wollte Ben wissen.
Dante fuhr ihm liebevoll durchs Haar. „Danach halten wir erst einmal Siesta, die traditionelle Mittagsruhe. Aber du brauchst nicht lange zu schlafen, vielleicht eine Stunde. Anschließend mache ich mit dir und Taylor einen Rundgang und zeige euch alles.“
„Muss ich mich unbedingt hinlegen?“
„Eine Stunde solltest du das schon tun, denn der Tag ist noch lang“, erklärte Graziella. „Du willst doch sicher bis zum Abendessen wach bleiben, oder?“
„Hm.“
In Florenz hatte der Junge nicht protestiert, wenn er einen Mittagsschlaf halten sollte. Hier gab es jedoch für ihn viel zu viel zu sehen und zu erleben. Deshalb war er ganz aufgeregt, und es war schwierig, ihn zu überzeugen.
Nur weil Taylor ihm versprach, ihm eine Geschichte vorzulesen, willigte er schließlich ein. Ungefähr eine Stunde später erschien Lena und verkündete, Dante warte unten in der Eingangshalle.
Rasch cremte sich Taylor mit einem Sonnenschutzmittel ein, schlüpfte in Sandaletten, setzte einen Strohhut auf, verließ mit Ben die Suite und ging mit ihm die Treppe hinunter.
Wie falsch ihre Annahme war, Dantes Weingut sei ein reiner Hobbybetrieb, wurde ihr rasch bewusst. Zuerst zeigte er ihr und Ben die Weinkeller, stellte ihnen seine Mitarbeiter vor und erklärte die Arbeitsabläufe von der Traubenlese bis zum Abfüllen des Weins in Flaschen. Schließlich wanderte er mit ihnen durch einen der Weinberge, wo die Früchte in üppigen Dolden an den Rebstöcken hingen und unter dem schützenden Blätterdach heranreiften.
Ben zuliebe erklärte Dante alles mit einfachen Worten. Obwohl Taylor interessiert zuhörte, lenkten seine Nähe und seine faszinierende Ausstrahlung sie jedoch viel zu sehr ab.
Hier wirkte er gar nicht mehr wie der einflussreiche und mächtige Unternehmer und erfolgreiche Geschäftsmann, sondern wie ein Winzer, der sein Land liebte und dem es egal war, dass es ihm keine Millionengewinne und keinen internationalen Ruhm einbrachte.
Er sah sogar anders aus als zuvor, wie sie fand – falls das überhaupt möglich war. Ohne die perfekt sitzenden eleganten Maßanzüge, die edlen Hemden und die Designer-Krawatten hätte man ihn in den Jeans, dem schwarzen T-Shirt und den bequemen Freizeitschuhen auch für einen erdverbundenen Gutsbesitzer halten können.
Seiner sinnlichen Ausstrahlung tat das allerdings keinen Abbruch. Taylor bezweifelte nicht, dass er die Frauen sehr genau kannte und ein geschickter und erfahrener Liebhaber war. Dieser Mann machte ihr Angst, doch zugleich erregte er sie und weckte die Sehnsucht in ihr nach etwas, das für sie sowieso außer Reichweite lag.
Es wäre schrecklich, wenn er etwas ahnte von ihrem inneren Zwiespalt. Immer schwerer fiel es ihr, ihm gegenüber die Zurückhaltung aufrechtzuerhalten.
Das gemeinsame Sorgerecht für Ben auszuüben hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Dante sich so intensiv um den Jungen kümmern würde. Und dass Graziella eine Heirat guthieß, machte alles noch nur noch komplizierter.
Noch vor drei Monaten war Taylor mit ihrem Leben zufrieden gewesen und hatte geglaubt, alles unter Kontrolle zu haben. Natürlich war es für sie selbstverständlich, ihren Neffen großzuziehen und ihn nicht im Stich zu lassen.
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